Fürjasgefühle im Sommer

Fürjasgefühle im Sommer –Auftakt einer neuen Leistungskultur

»Einer Spur folgen.« Mit diesen Worten begann Niels, mir die etymologische Bedeutung des Wortes »Leistung« zu erklären. Im Spätmittelhochdeutschen hieß es »leistunge«, abgeleitet von »leisten«, was so viel wie einer Pflicht nachkommen bedeutet. Ordnung muss sein.., dachte ich mir, doch die Stimmung in der Gesellschaft ist chaotisch. Was also tun?

»Also stammt Leistung aus Deutschland?« frage ich nach? 

Niels grinste. »Wie die Übersetzung ins Norwegische lautet, weiß ich nicht, und im Englischen ist es dann wohl ‘to perform’ oder ‘to act’.«

Dass es mit Aktivität zu tun hat, darin sind wir uns schnell einig. Genauso wie am gestrigen Abend, als die schwarzrotgoldenen Nagelsmänner einen perfekten Start für ein neues Sommermärchen hinlegten. Pflicht erfüllt oder der Beginn eines aktiven und positiven Stimmungswandels in Deutschland?

Das Wort »Leistung« fühlt sich für viele anstrengend und schwer an. Hochleistung erst recht. Sind wir im Reagieren, im Bewahren und Verwalten, und nicht im Gestalten, so wirkt Leistung bei zunehmender Komplexität und Geschwindigkeit ermüdend. Hier liegt ein Kernproblem unserer heutigen Leistungsgesellschaft: Das Für-etwas trifft auf ein ermüdendes Gegen-etwas.

Warum ist das so? Ist das »Tun« nicht die Grundlage für den Wandel, den wir heute so dringend brauchen? Denn die treibende Kraft des Prozesses ist das Handeln. Ich bezeichne den aktiven Menschen als ‘Handlungshelden’, wobei das Heldenhafte nicht im Ergebnis liegt, sondern in der Handlung selbst. Sie bildet die Grundlage der Aktivierung, die zur eigenen Verwirklichung in der Welt beiträgt. Eine Sinngebung, wenn man so will.

Für mich ist Aktivierung etwas Fundamentales. »Zu leisten« ist eine für den Menschen konstitutive Fähigkeit. Sie gehört zur Conditio Humana – zum Menschsein. »Zu leisten« ist wie das Leben selbst ein dynamischer und fortlaufender Prozess, bei dem jede Handlung neue Anfänge schafft. Wir sind nicht starre Experten oder das Ergebnis eines erreichten Ziels, sondern professionelle Amateure. Wir arbeiten hart und sind lernende Wesen, die nach Fortschritt streben. Das zumindest ist eine wünschenswerte Vorstellung.

Eine Gesellschaft des Müssens, der Dürfen-Nixen und der Dauerkrisen.
Wir haben es mit zwei unterschiedlichen ‘Zukünften’ zu tun: Eine reaktive (deutsche) Funktionsgesellschaft, in der die Reaktion die Handlung hervorbringt. Uns werden Aufgaben delegiert, die wir erfüllen müssen; wir sollen uns engagieren, Regeln und Verbote einhalten, Prozesse befolgen, Krisen managen und Resilienz zeigen. Die Konsequenz? Eine zunehmend erschöpfte Gesellschaft, die ihrer Pflicht nachkommt.

Auf dem Weg nach Berlin zum ‘Führungskräftetag’ dieser Woche fiel mir das Symbol unserer Zeit ins Auge. Entlang der Straßen hingen große, hochglänzende Plakate dreier unterschiedlicher Parteien. Das erste Wort auf allen: »GEGEN«.

Denken wir zurück an den vergangenen Sonntag: Europawahl. FÜR was wurde gewählt? »Jetzt müssen wir uns alle einbringen«, lese ich in den sozialen Medien. Aber wofür? Ein Post auf LinkedIn zeigt, was Olaf, die Grünen und seine Regierungskameraden alles falsch machen. Auffällig. Sie zerstören die Wirtschaft. Logische Schlussfolgerung und Antithese: AfD als Alternative? Fehlanzeige. Es geht gegen Links, gegen Rechts, gegen die sitzende Regierung.

Wo bleibt dann die wahre Alternative? Das Bewahren und Verwalten der Macht um der Macht willen scheint die Grundlage der politischen Ordnung zu sein. Statt visionärer Gestaltung und zukunftsorientierter Politik erleben wir häufig nur ein Festhalten an etablierten Strukturen. Wo bleibt dabei die Gestaltungskraft? Und FÜR was soll dann ein Bürger in einer Demokratie wählen, wenn es nur noch darum geht, den Status quo zu sichern?

Es ist nicht alles schlecht, uns geht es noch verdammt gut. Doch Wohlstand ist weder fix noch ein Naturgesetz. Ist uns das wichtig, so werden wir – zumindest in naher und ferner Zukunft – vermutlich daFÜR etwas tun, nicht nur daGEGEN.

Das neue deutsche Leistungsverständnis
Vielleicht können wir uns ein Beispiel an den Nagelsmännern nehmen. Vom hoffnungslosen Außenseiter zum Titelanwärter. Entlassen vom FC Bayern zum Erfolgstrainer? Durch eine gemeinsame Aktivierung, das Tun und die Förderung eines Kollektivs kann sich die Stimmung binnen Monaten ändern. 

»Menschen hier in Deutschland zusammenzubringen, darauf haben alle Lust«, sagte Turnierleiter Philipp Lahm. »Eine Einheit sehen«, das war der Wunsch. Die Einheit, das Miteinander und die Lust. »Spaß und Freude bringen Optimismus, das wünsche ich mir«, sagt Lahm. Thesen über einen zukünftigen Erfolg der Mannschaft sind gewagt, doch im Kern der Botschaft steckt Potenzial für eine neue Leistungskultur und gesellschaftliche Aktivierung. Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir können sie gestalten. 

Und da sind wir bei der anderen Zukunft und der aktiven Gesellschaft. Da wird Zukunft gemacht. Welche Zukunft ist erstrebenswert? Liegt die Grundlage des Handelns in der reinen Pflicht, im Müssen und im bloßen Tun, verblasst die Gesellschaft. Der gestrige Abend war ein Beispiel für positive Aktivierung und die Kraft, die entstehen kann, wenn wir zusammenkommen und die Stärke des Kollektivs nutzen, wenn wir uns FÜR etwas einsetzen.

Vom Krisenland zum Fortschrittsland: Deutschland, Land des positiven Fortschritts.

In meiner Heimat Norwegen gibt es den ‘Dugnad’. Das ist so etwas wie Ehrenamtlichkeit ohne Ehre und ohne Amt. Man setzt sich bedingungslos für das Gemeinwohl und die Mitmenschen ein, wohlwissend, dass, wenn es den anderen besser geht und sie Fortschritte erleben, auch ich als Mensch daran wachsen.

Und so war das Auftaktspiel in München gestern Abend.

Vom Sport können wir uns Lebendigkeit abschauen. Die Stadien während der EM sind voller aktiver Menschen, die ihre Lebendigkeit schätzen. Können wir diesen Spirit als Start einer neuen Leistungskultur aufgreifen? Wagen wir einen deutschen ‘Dugnad’ als Beginn eines Sommers des Bejahens und des Einsatzes FÜR etwas? Was wäre, wenn wir diesen Spirit über den Sommer hinaus in den Herbst tragen könnten, um eine positive Haltung zu fördern, die Gesellschaft zu aktivieren und ein neues Verständnis von »Leistung« zu entwickeln?

Zu was sagst du JA? FÜR was bist du?
Welche Zukunft möchtest du gestalten?

Pflicht erfüllt, der erste Sieg ist da. Leistung kann aber so viel mehr sein. Lass uns die Zukunft in die Hand nehmen und aktiv formen. Der gestrige Abend war ein Startschuss.

Ein JA FÜR etwas als neues Gefühl für den Sommer.

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