Es wird Zeit, das ‘C’ zu begraben – die Identitätskrise der CDU: Von korrumpierender Macht zur echten Power.
Von korrumpierender Macht zur echten Power.
Während sich Bits & Pretzels und das Oktoberfest in Bayern kreuzen, stehen Technologie und Unternehmertum den traditionellen Bierdeckel-Visionen des Establishments gegenüber. Dies bietet den idealen Hintergrund für ein politisches Gedankenexperiment.
Mich fasziniert der Unterschied zwischen einer Macht, die ausschließlich auf Selbsterhaltung ausgerichtet ist – eine bewahrende und behaltende Macht – im Gegensatz zu einer Macht, die echte Veränderungen und Gestaltungsmöglichkeiten ermöglicht – der echten Power.
“Die Power” – die Fähigkeit, etwas zu tun, eben eine bestimmte Handlung zu erzeugen – wirkt aktivierend, energisch und progressiv. Im Gegensatz dazu erscheint die Macht des Selbsterhalts stagnierend, statisch und unterdrückend. In der heutigen politischen Landschaft muss man sich fragen: Befinden wir uns in einem Zeitalter der Gestaltung oder sind wir im Modus des Verharrens und Verwaltens gefangen?
Historisch gesehen dienten Machtstrukturen in Monarchien und Autokratien traditionell auf dem Erhalt der bestehenden Ordnung. Demokratien und republikanische Systeme sollten – zumindest theoretisch – Raum für gestalterische Power bieten. Sie laden Bürger ein, aktiv ihre politische Zukunft mitzugestalten. Aber hat sich dieser konzeptionelle Unterschied in der Gegenwart verschoben, oder war er stets eine Illusion? Es ist fraglich, ob autokratische Systeme, trotz berechtigter Kritik, nicht manchmal effektiver agieren als demokratische Systeme, die sich – zumindest in den vergangenen Jahren – im Zeitalter des leichten Geldes oft lethargisch zeigten.
Betrachten wir die Union: Wo setzt sie heute Impulse für den gesellschaftlichen Fortschritt? Ist echte “Power” – sprich Gestaltung – noch ihr Ziel?
Diese Frage richtet sich nicht ausschließlich an die CDU/CSU, die sich derzeit darauf vorbereitet, in Hessen und in Bayern als stärkste Kraft aus den anstehenden Landtagswahlen hervorzugehen und die auch in den bundesweiten Umfragen vorne liegt. Die Frage gilt ebenso für die aktuelle Bundesregierung. Es scheint, als wäre der Fokus nicht auf echte Power gerichtet, sondern auf das bloße Bewahren des Status quo.
Volksparteien und die Macht
Das Christentum hat im Laufe seiner Geschichte zahlreiche Orden und religiöse Gemeinschaften ins Leben gerufen, die sich der Hilfe für Arme, Bildung und dem Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten widmeten. Ein Nebeneffekt dieser Aktivitäten war die Stärkung und Erweiterung vorhandener Machtstrukturen. Das päpstliche System, die kirchliche Hierarchie und die Kontrolle über Bildung und Kultur in vielen Teilen Europas dienten als klare Instrumente institutioneller Macht. Tatsächlich gab es Momente, in denen die Kirche Reformbewegungen unterdrückte, die ihre Macht infrage stellten. Der Vorwurf, die Kirche ziele hauptsächlich auf Selbsterhalt und institutionelle Stabilität ab, ist nachvollziehbar, dennoch war sie auch eine Quelle gestalterischer Energie. Ähnlich verhält es sich mit dem „C“ in der CDU: Ein Machtsymbol einer deutschen Volkspartei. Doch hat dieses Symbol heute noch dieselbe Bedeutung? Sind Volksparteien überhaupt noch Volksparteien, wenn sie das Volk nicht mehr erreichen?
Das „C“ in der Union scheint in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren zu haben. Ein Symbol, das einst für klar definierte Werte stand, wirkt heute wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Die Geschichte der Partei ist ein Spiegelbild der rasanten Veränderungen in unserer Gesellschaft.
Die politische Bühne hat sich gewandelt, ebenso wie die Erwartungen der Bürger. Doch Volksparteien scheinen sich verzweifelt an ihre Kernwerte zu klammern, während sie im Dunkeln nach einer neuen Richtung suchen. Die letzten Kanzlerwahlen wurden durch verschiedene Skandale und Fehltritte geprägt, von Baerbocks Plagiatvorwürfen bis zu Laschets unangemessenem Lachen im Krisengebiet. Der Gewinner? Der stille Scholz, der vom scheinbaren „Nichtstun“ zum Bundeskanzler aufstieg.
Die Frage ist, was unsere Gesellschaft wirklich erreichen kann, wenn sie sich auf ihre tatsächlichen Fähigkeiten besinnt und eine gestalterische Power entwickelt. Doch aktuell scheint es vorrangig um den Selbsterhalt der Parteien zu gehen. Die Union, und ebenso die Opposition, fokussieren sich auf Verteidigung statt auf Neugestaltung.
Es gab jedoch in der jüngeren Vergangenheit auch kurze Lichtblicke. Grüne und FDP versuchten, sich als moderne und zukunftsorientierte Parteien zu positionieren. Lindner, Habeck und Baerbock hatten ihre Höhepunkte. Doch ein bedenkliches Zeichen der Zeit ist der (Wieder-)Aufstieg der AfD, die weniger durch laute Proteste, sondern vielmehr durch die Apathie der etablierten Parteien an Boden gewinnt. Die Popularität der AfD ist aber nicht der Ausdruck populistischer Volksstimmung, vielmehr eine Reaktion auf die Inaktivität der regierenden Kräfte.
Das Ende einer Volkspartei oder Wiederauferstehung mit Abendmahl?
Wir leben heute in einer multikulturellen, digital vernetzten und sich rasch wandelnden Welt – einer Welt, die durch Technologie, Wissenschaft und individuelle Freiheit geprägt ist. Wer das noch nicht bemerkt hat: Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert.
Es ist nicht so, dass die Christlichen-Demokraten oder die CSU nichts tun. Aber wo ist das, was sie eint, was sie schöpferisch macht? Ich verstehe die CSU als Union in der Union. Teil des Ganzen, aber irgendwie doch nicht. Es stellt sich die Frage: Braucht Deutschland in dieser Zeit überhaupt noch eine christlich-demokratische oder christlich-soziale Union? Oder liegt hier vielleicht die Chance, eine neue, dynamische, soziale und demokratische Identität zu schaffen, die sich auf Wirtschaft und Technologie konzentriert statt auf historische statische Konzepte?
Das “C” ist ein Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen. Eine Christliche Union scheint mit der heutigen Zeit kaum mehr kompatibel. Wir leben in keinem christlich-abendländischen Deutschland, sondern sind längst auf dem Weg in eine Atheistisch-Gläubig-Pop-Westlich-Buddhistisch-Kapitalistische Gesellschaft.
Ein “agnostischer Atheismus” fordert Respekt für jede Glaubensform, solange sie privat bleibt. Es ist offensichtlich: Die moderne Politik benötigt Visionen und kreative Impulse, nicht starre religiöse Zuordnungen.
Laschet ist nicht Schuld, Merz ist keine Lösung, und Söder sehnt sich zwar nach der großen Rolle, findet aber seine Zugehörigkeit nicht. Sie sind in einem System gefangen, das ständig nach Balance sucht und das Parteiwesen idealisiert. Aber ein statisches System – die Homöostase – ist letztlich ein totes System. Der französische Philosoph Jacques Derrida beschrieb vor über 20 Jahren, wie Demokratie in Zeiten der Globalisierung, Technologie und Gastfreundschaft verstanden werden sollte. Er sprach von der “Demokratie, die kommt” – eine ständig werdende Demokratie.
Die “Demokratie, die kommt” bezieht sich nicht auf eine konkrete oder zukünftige politische Ordnung. Vielmehr handelt es sich um ein ethisches Ideal oder eine ständige Aufgabe. Etwas Fluides. Es ist eine Demokratie, die niemals vollständig realisiert wird, aber immer als ein anzustrebendes Ziel vorhanden ist. Derridas Philosophie zukünftet. Sie ist auf Gestaltung ausgelegt. Sie unterliegt keiner Homöostase, sondern vielmehr einer Homöodynamik.
Für Derrida zeigt sich die Demokratie in ihrer:
- Unvollkommenheit: Für Derrida ist die Demokratie immer unvollkommen und unvollendet. Das bedeutet, dass sie ständig hinterfragt, revidiert und neu gestaltet werden muss.
- Offenheit: Die “Demokratie, die kommt” muss für das Unerwartete, das Andere und das Neue offen sein. Dies steht im Gegensatz zu festen oder endgültigen politischen Systemen, die keine Veränderung zulassen.
- Kritik und Selbstkritik: Die Idee ermutigt dazu, ständig bestehende demokratische Systeme zu kritisieren und zu überdenken, um ihre Mängel und Grenzen aufzuzeigen.
- Unbestimmtheit: Wie viele von Derridas Konzepten ist auch die “Demokratie, die kommt” bewusst vage und unbestimmt. Es ist mehr eine Orientierung als ein festes Ziel.
Derrida argumentiert, dass echte Demokratie stets in Bewegung bleibt und sich konstant verändert. Sie existiert in einer permanenten Spannung zwischen dem Ist-Zustand und dem, was möglich wäre. Dieses dynamische Verständnis betrifft aber nicht nur die Demokratie. Eine gestalterische Power muss auch das Betriebssystem – die Wirtschaft – formen. Ich plädiere für einen werdenden (humanen) Kapitalismus, der noch nie dagewesen sein kann. Die Idee der “Demokratie, die kommt” und mein Konzept eines “werdenden Kapitalismus” mahnen uns, niemals selbstzufrieden zu sein. Es gibt immer Raum für Verbesserungen und Veränderungen. Dies stellt sowohl eine Kritik an bestehenden demokratischen Systemen dar, als auch eine Aufforderung, stetig nach mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit zu streben.
Hier stoßen wir auf eine bedeutende Einsicht: Während ein bürokratischer, unflexibler Staatsapparat und eine starre Union mit christlichen Wurzeln in ihrer Selbstzufriedenheit verharren, der Offenheit gegenüber Neuem fehlt und eine mangelnde Bereitschaft zur Selbstkritik zeigt – und dies vielleicht in München mit traditioneller Tracht und Maßbier zelebriert –, suchen sie dennoch verzweifelt nach Führungspersönlichkeiten mit klarer Identität, Vision und kreativer Energie. Indes tanzen quantentechnologische Neugestalter beim “Home of Founders” Festival und feiern visionäre unternehmerische Zukunftskünste.
Ein technologischer und wirtschaftlicher Denkanstoß
Ich schätze Traditionen. Doch als professioneller Amateur des politischen Geschehens, frage ich mich: Wie kann in der heutigen Zeit eine dynamische, gestaltende politische Bewegung entstehen? Ein “unternehmerischer Merger” aus Rot und Schwarz/Gelb könnte eine neue “Volkspartei” formen – eine interessante und vielleicht auch sympathische Vorstellung. Und solange Parteien das Zentrum der Politik darstellen, benötigen wir auch eine Opposition. Zum Beispiel eine linke Kraft, die die Bedenken der (noch) arbeitenden Klasse im anbahnenden technologischen Tsunami ernst nimmt. Gregor Gysi trifft zumindest in einem Punkt ins Schwarze, wenn er über seine eigene Partei spricht: ‘Man weiß nicht, wofür sie steht’. Provokateure, die auf eine Selbstheiligkeit mit Wagenknechtschen Ansätzen setzen und sich auf Talkshows und TikTok als Experten inszenieren, gibt es zuhauf. Doch oft wird Reaktion statt Reflexion belohnt.
“Es braucht einen Neustart,” lese ich.
Die logische Folgefrage lautet: Wozu und vor allem wohin?
Wo ist das heutige Gestaltungsministerium als Gegenpol zum Bewahrungs- und Verwaltungsministerium? Wo sind die Rebellinnen dieser Nation? Das Fortschrittsministerium, das an Wirtschaft und Technologie glaubt?
Was ich mir wünsche, ist eine visionäre Gestaltung – ein organisiertes Leben im 21. Jahrhundert. In diesem Leben, in unser aller Leben, steht der Mensch und sein Potenzial im Mittelpunkt. Es geht um Gemeinschaft und um die Vielfalt möglicher Lebensentwürfe für eine wünschenswerte und unendliche Zukunft. Die Gestaltung. Die Power.
Wer hat den Mut?
Welche Zukunft ist für Dich erstrebenswert?
Wo muss Power entwickelt werden?
Wer hat die Stärke, dem Egozentrismus und den Machtkämpfen entgegenzutreten? Wo sind die Menschen, die echtes Selbstvertrauen zeigen? Wo sind die Gestalter, die Verantwortung übernehmen und sagen: Ich setze mich zu 100% FÜR etwas ein?
Wie geht die CDU/CSU mit einer Welt und Gesellschaft um, die schon längst da ist? Kann eine Partei, die so tief in der deutschen Politik verwurzelt ist, sich neu definieren? Kann aus einer statischen eine dynamische Union erwachsen?
Fast träumerisch denke ich an eine (neue) Dynamische und Digitale Demokratische Union. Die einen Neuanfang, der Technologie und Vernunft sowie das Soziale in den Mittelpunkt rückt und das “C” durch ein “D” ersetzt. Politische ‘Correctness’ oder ‘Conservativism’ zu vertreten, braucht kein ‘C’. So können wir das Bewahren und Verwalten technologisch abbilden – Management – und den Schwerpunkt auf Gestaltung legen – Leadership. Eine Bewegung des Handelns. Eine Bestätigung der “Kunst, Unrecht zu haben”, bei der der Fortschritt im Zentrum steht. Eine Bewegung, die für einen humanen Kapitalismus eintritt.
Wenn der Fokus nur auf dem eigenen Image und dem Ergebnis liegt, passt das nicht zu einer Gesellschaft, die heute mehr Input als Output benötigt. Von einer konservierenden Macht des Selbstschutzes zu einer dynamischen gestalterischen Kraft – das ist meine Vision für die DDU. Ein kollektiver Neuanfang im Kontext des Gemeinwohls. Unsere individuelle Freiheit ist untrennbar mit dem Allgemeinwohl verbunden.
Letztendlich geht es mir nicht primär um eine bestimmte Partei oder die Union an sich. Diese dienen in diesem Artikel lediglich als sympathisch kognitive Irritation, um über Macht zu reflektieren und eine dynamische, zukunftsorientierte Politik zu bedenken.
Vor allem geht es mir um die Frage, welche Art von Gesellschaft wir – die Bürger dieses Landes – gestalten wollen. Spätestens hier sind wir wieder bei der gestalterischen Kraft – der Power. Denn es geht mir um eine Vision für Deutschland und Europa. Was wir besitzen, sind die Optionen des Fortschritts. Positiver (unendlicher) Fortschritt. Auf die statische Antwort und Lösung – ich weiß und ich habe recht, so ist es – folgen die bessere Erklärung und die besseren Probleme.
Ich bin überzeugt, dass wir heute theoretisch bereits in der Lage sind, durch Ökonomie und Technologie eine harmonische Ökologie zu schaffen. Einfach ausgedrückt: Wir leben in einer Ära, in der wir das Schicksal der menschlichen Spezies hinsichtlich Klima, Konflikten, Technologie und Armutsbekämpfung weitgehend selbst bestimmen können.
Wir sind mit einer schöpferischen Kraft gesegnet. Daher glaube ich fest daran, dass wir trotz der scheinbar endlosen Krisen eine Geisteshaltung positiver Leitlinien benötigen. Eine Ideologie, die Raum für Fehler lässt. Eine Vision, die für Werte und Leistung steht, nicht gegen sie. Eine Vision, die Anreize zur Verhaltensänderung setzt, jenseits von bloßer Begrenzung und Regulierung.
Wir dürfen zukünften!