DER JOURNALIST, DER ZUVIEL WUSSTE – Kritik der medialen Vernunft.

Vom Himmel der Erkenntnis ist ein neues Gottesgeschöpf in die mediale Welt hinabgestiegen. Und sein Heilsversprechen lautet quaero ergo tuum sit. Statt cogito ergo sum – ich denke, also bin ich – heißt es nun, ich suche, also seid ihr. Also preiset das Wesen. Preiset Chat-GPT, You.com, Google und die Künstliche Intelligenzen…

Doch, was ultimative Antworten verspricht, wirft zunächst Fragen auf: was bedeuten diese Code-basierten Superhirne für die Rolle des Menschen? Wie gehen wir – als (noch) denkende Wesen – mit künstlicher Intelligenz um? Ist mit dem Eintritt von KI in den irdischen Alltag aus einer fatalen Informationsgesellschaft über Nacht eine allmächtige voll demokratisierte Wissensgesellschaft geworden? Wagen wir an dieser Stelle zwei steile Thesen: In den nächsten zehn Jahren werden die Grenzkosten der Intelligenz und die Grenzkosten der Energie schnell gegen Null gehen. 

Sollten ursprünglich die Billiglohn-Jobs durch KI ersetzt werden – die den Menschen befähigen sollen, sich auf das “Wesentliche” zu konzentrieren –, so wachen wir heute überrascht auf und erkennen, dass das Expertentum vor dem Fall zu stehen scheint. Die ‘Wissenden’ müssen um ihre Jobs bangen. Die Menschheit steht im Zwiespalt zwischen der Erfahrung einer unfassbaren Leistungssteuerung und Arbeitserleichterung, dem das Gefühl einer schier existenziellen Unsicherheit gegenüber steht, was denn noch kommt. In der Version 3.5 ist Chat-GPT nicht unfehlbar, aber die Meilensteine der Optimierung belaufen sich eher auf Wochen oder Monate denn auf Dekaden oder gar noch längere Zeiträume, zumal andere Intelligenzangebote rasch nachrücken.

Die gewohnten Weltenerklärer geraten offenbar zunehmend in die Defensive: Bedeutet der Aufstieg der künstlichen Intelligenzen den Untergang von Journalismus und Medien? Oder eröffnet sich eine neue Möglichkeit für die Überwindung des Dopamin gesteuerten Medien-Menschen hin zu einer Entwicklungsstufe; einen vernünftigen Umgang mit Technologie, eine Gesellschaft des Verstandes.  

Also, sprachen die Medien

Die Hoffnungsträger einer solchen Aufklärung waren einst Rudolf Augstein, Gerd Bucerius und Henri Nannen – Mogule von Besatzers Gnaden. Heroen des Journalismus. Wie die Helden in Hollywood Western, die zu ihrer Zeit über die Bildschirme flimmerten, verkörperten sie das Ideal von Freiheit der Meinung verbunden mit informationeller Selbstbestimmung. Die vierte Gewalt. Als ich 2020 in meinem Buch ‘Das infizierte Denken’ eine Betrachtung der Medienwelt vornahm, stellte ich fest, dass die Medien ihrer einstigen aufklärerischen Rolle nicht gerecht werden. 

Die vierte Gewalt heißt heute künstliche Intelligenz, oder wie in diesen Tage in aller Munde: “Chat-GPT”. Das Lagerfeuer ist erloschen. Früher der Platz, an dem sich Menschen zum Dialog trafen, um im Austausch und durch geteiltes Wissen der Wahrheit möglichst nahezukommen. Ein Wunsch, der selbst im Zeitalter elektronischer Medien – vielleicht zum grundsätzlichen Willen – verstärkt – bestenfalls ein Streben blieb. Jetzt wird er durch eine Verabsolutierung von Allwissenheit ersetzt, die Meinungsmacher durch opportunitätshungrige Pseudo-Verstehende, die Talking-Heads der Wissensvermittlung. Doch dieser Ersatz, die Corporate Personal- und Employer gebrandete Influencer werden ihrerseits bald selbst durch personalisierte Avatare ersetzt werden. In naher Zukunft wird ThisPersonDoesNotExist.com ‘belebt’, bespielt von Chat-GPT und ihren Kollegen aus der KI. Aus Simulationssoftware und ‘Deep Fakes’ folgt das Erlebnis tiefer Echtheit, die vom “Realen” nicht mehr zu unterscheiden ist: echt in der Sache, echt in der Umsetzung. 

Innovationsgetunt rast die Menschheit einer letzten narzisstischen Kränkung entgegen. Die Verbindung der Mechanik und Robotik wie die von Boston Dynamics, den rasanten Fortschritten in Biotechnologie, Quantentechnologie, Genome-Editing und Nanotechnologie sind die Treiber. Das Ergebnis – eine technische Singularität und der Beleg dessen, dass nicht wir die Geschöpften sind, sondern die Schöpfer. Nicht Gott der Allmächtige, sondern Mensch der Mächtige, der imstande ist, alles zu bauen, was er sich vorstellen kann. Glückseligkeit, Gottseligkeit und Unsterblichkeit aus der Maschine. Und von der Maschine – deus Ex Machina, denn der Mensch wird nun zum Schöpfer, der sich des Schöpfens entbinden lässt. Das Schaffen als Aufgabe der entbindenden Maschinen – eine gewesene Herausforderung der Menschheit, die sich jetzt aber dem  Verstehen stellen muss. 

Endzeitszenarien eines Homo obsoletus aus dem Genre des Science Fiction rücken im Stundentakt näher. Dabei ist noch gar nicht klar, ob das für unsere Spezies eine Dystopie oder Utopie ist. Oder eine natürliche Entwicklung des Artifziellen, mit der es umzugehen gilt, und aus der heraus sich der Mensch neu (er)finden muss. Doch wer weißt ihm den Weg?

Medien für alle und keinen…

Was passiert, wenn eine Welt geschaffen wird, in der es durch Technologie noch nie so einfach war, sich mit unterschiedlichen Positionen, Perspektiven und Meinungen auseinanderzusetzen und wir es dennoch nicht tun? Die zunehmende gesellschaftliche Differenzierung, die bis in die “Singularisierung” führt und eine bisher nie dagewesene Komplexitätssteigerung der Gesellschaft hervorbringt, führt zu einer Kakofonie, in welcher der gesellschaftliche Dialog dem Sendungs(un)bewusstsein jedes Einzelnen weicht. Eine fatale Informationsgesellschaft erstickt das sinnstiftende Lagerfeuer und wird zur absoluten Wissensgesellschaft.

Folgen wir dieser Entwicklung, so erkennen wir, dass Kants Unterscheidung zwischen “reiner” und “empfindlicher” Vernunft durch die technologische Entwicklung negiert wurde. Übrig bleibt nicht die Empfindung und die Wahrnehmung der Welt durch unsere Sinne, sondern der (digitale) Ausdruck. Und auf unsere Fähigkeit zur Abstraktion folgt das absolute Wissen. Erleben ohne Erlebnis. Erkennen ohne Erkenntnis. 

Denn, wir hören nicht mehr zu. Wir wollen nicht verstehen, wir wollen partizipieren. Zumindest scheint dieser Tage dies ein gemeinsamer Nenner der westlichen Wohlstandsgesellschaften zu sein: Niemand möchte Empfänger sein, alle möchten senden. Müssen senden. Wir haben eine Medienwelt für alle und keinen kreiert. Nach den Massenmedien wird die Masse ein Medium. Wenn aber alle auf der Bühne stehen, ist das Auditorium leer. Es entsteht eine Gefangenschaft in der eigenen Freiheit.

 Zu erkennen ist, dass das Ideal der Unerlässlichkeit von freien, professionellen Medien für demokratische Gesellschaften  attackiert wurde. Die technologische Demokratisierung von Wissen unterliegt der Ökonomisierung – und den menschlichen Trieben. Einerseits sind wir, frei nach Neil Postman, nicht nur dabei, uns zu Tode zu amüsieren, sondern viel schlimmer noch: Wir haben es mit einer vollumfänglichen Betäubung und anästhesistischen Bespielung zu tun. Der Sucht nach unserer tägliche Feel good-Dosis an Dopamin, Oxytocin, Serotonin und Endorphinen, die unseren Glückspegel erhöht. 

Glück ersetzt Reflexion und untergräbt damit die ursprüngliche Rolle der Medien und des gesamten Journalismus. Die Kommunikation in den Sozialen Medien ist der Treibstoff der Totalität von Werbung. Sex und Pornographie – die TikTok- und Instagram- Algorithmen befeuern die gleichen Themen, und bei Streaming-Providern wie Netflix & Co. heißen die Sendungen ‘Naked- und FBoy-Island’, ‘How to sell drugs online’, ‘Too hot to handle’ oder (s)’Ex on the beach’. 

Von den Medienmachern erfordern die aktuellen Entwicklungen eine Ambiguitätstoleranz+. Sie können nicht das eine tun und das andere lassen – Welten erklären und um Likes buhlen. Kredibilität trifft auf Königin Kapitalismus. Zudem zeigt die rasante Entwicklung, dass es schwieriger wird, zu “schreiben, was ist” (Augstein). Medien und Medienmacher sind herausgefordert, sich auf das Unbekannte vorzubereiten. Denn es ist überhaupt nicht sicher, dass in Zukunft Journalisten benötigt werden. Die KI analysiert nicht nur, sie schreibt auch die Texte.

Aldous Huxley’s Brave New World schlägt heute die dystopischen Gedanken aus Orwell’s 1984 um Längen. Die Autonomie, Reife und Geschichte werden uns nicht vom großen Bruder genommen. Das Problem ist nicht, dass uns Bücher verboten werden, sondern dass sie niemand mehr lesen wird. Chat-GPT lehrt uns, unsere technologische Unterlegenheit zu lieben – und damit die Unterdrückung. Es eröffnet uns den Zugang zur Allwissenheit, mit der sich der Personal Brand pimpen lässt. Die Schnittstelle Mensch wird zum kapitalisierten und gefälligen Wissensvermittler mit der fatalen Konsequenz des Rückgangs unserer Denkfähigkeit. Bereits heute sind nicht die Antworten das Problem, sondern vielmehr die menschliche Fähigkeit, Fragen zu stellen. 

Der überwundene Medienmensch

Entsteht ein halkyonischer Ton der Kommunikation? Sind wir an der möglichen Überwindung der Zwischenstufe des Menschseins, welche Nietzsche einst beschrieb, angekommen? Können wir überhaupt noch unser Schicksal selbst gestalten und uns weiterentwickeln? Liegt die Chance darin, jetzt mit der Technologie den Menschen zu überwinden? Nietzsche und auch Kant würden heute sicherlich ganz anders auf ‘unsere Welt’ schauen. So ist das Ziel vielleicht nicht die Überwindung der Selbstbestimmung, sondern die kollektive Mit-Bestimmung, vielleicht ist nicht das endgültig Vernünftige unser Ziel, sondern ein immer wiederkehrendes Streben hin zu einer Gesellschaft des Verstandes unser infiniter Weg. Nietzsche schrieb ’Ein Buch für Alle und Keinen’, weil er befürchtete, “niemand würde ihn verstehen”, und vielleicht liegt hier auch die neue Rolle der Medien? Wird die Brückenfunktion zur Technologie die Chance, die es nun zu ergreifen gilt? 

Aus dem Statischen wird etwas Dynamisches. War die Rolle einst die Vermittlung von Wissen, so könnte sie heute im Streben nach besseren Erklärungen bestehen. Die Rolle des modernen Journalisten gehört somit zur unendlichen Flucht aus der Statik. Auf die absolute Balance und das Erzielen der Antwort folgt die Vernichtung des Absoluten. Und so muss im Nietzscheanischen Sinne aus der Knechtschaft des Konsums und der Wehmut eine Stärke entwickelt werden. Auf ein Vertrauen in sich selbst folgt die Übernahme von Verantwortung für Entscheidungen und Meinungen – Meinung verpflichtet –, aus denen durchaus über die Reibung in Relation zu anderen Menschen auch Fortschritt erzielt werden kann.. 

Aus dem Übermensch wird der Mit-Mensch. Aus Vernunft wird das Streben nach besseren Erklärungen – die Gesellschaft des Verstandes. Die Medien implizieren in Zukunft nicht mehr, was wir denken zu wissen, weil künstliche Intelligenzen zu unbestechlichen Quellen des Wissens werden. Quellen, die jedoch nur über das Denken selbst zur Erkenntnis führen, und die Medien weisen den Weg dorthin. 

So kann etwas Dynamisches entstehen, aus dem wiederum eine kollektive schöpferische Kraft des Fortschritts entsteht. 

“Was heißt das jetzt?”. Die Rolle des Journalismus wird in Zukunft nicht die der Seelsorge (als Antidot zur Gegenwart) sein. Stattdessen entsteht aktuell eine neue Opportunität in der Gestaltung des Mit-Menschen, aus dem sich (vermutlich) auch neue Geschäftsmodelle  entwickeln lassen.

Denn eins ist klar: Es ist völlig unklar, wo die Reise hingeht. Über kurzfristige reaktive Opportunität lesen wir jeden Tag. Geschwindigkeit ist alles… Wollen wir aber mittel- und langfristig darüber nachdenken, wie eine Medienwelt von morgen aussehen kann, oder wie die Rolle des Journalismus zu verstehen ist, so müssen wir eine fundamentale Betrachtung machen. In der technologischen Welt von Chat-GPT, KI & Co. werden nicht Sinn, Meinungen und Meinungsmacher gesucht. Das Leben ist Sinn, aus dem Verstand und Fortschritt entstehen können, davon bin ich überzeugt

Und genau aus diesem unendlichen Fortschrittsgedanken, dem Streben nach besseren Problemen, können sich die Medien von morgen finden. Aus Nietzsches Zarathustra und einer Kant’schen klaren Kante, findet sich eine neue Macht. Eine kontrollierte Macht, die sich durch die Validierung nicht korrumpieren lässt. Antwort, wie sich so etwas in einer vollökonomisierten Gesellschaft abbilden ließe, findet sich im menschlichen Geist. 

Nietzsche und Kant in neuer Tracht ist das vielleicht noch nicht, aber zumindest die Anfänge deutet ein konkretes Vorhaben, das eine solche Richtung anstrebt, auf seiner Webseite an. Das Pioneerprojekt von Gabor Steingart und die ökonomischen Muskeln von Axel Springer unterliegen den Wirkkräften des Kapitalismus – denn das Feuer muss mit Öl begossen werden – hin zu weiterem Wachstum. Aber zumindest wurde eine Flamme entfacht. So liest sich die Webseite: Kontrollierte Macht, Ablehnung des Verkaufs an Werbetreibende, Partizipierende und das Kultivieren eines Perspektivwechsel.

Die Rolle der Medien und des Journalismus wird es in Zukunft sein zu akzeptieren, dass es nicht darum geht, Technologien zu zähmen und Wissen zu vermitteln, sondern sie zu verstehen. Wenn die künstliche Intelligenz alles besser macht als der Mensch, geht es für den Menschen darum, das Lernen zu lernen. Was auch immer das ist, befähigt uns, uns von den Absolutheiten zu trennen. So ist das Streben nicht eine Homöostase, sondern die Homöodynamik, aus der es nun gilt, ökonomische Modelle zu finden. 

Ich lehre euch das Lernen. Das ist für die Medienwelt die kurzfristige Chance und Antwort im Umgang mit Chapt-GPT und künstlicher Intelligenz. Und in der fundamentalen Veränderung der Medienwelt entsteht derzeit das ökonomische Potenzial, dem Menschen das Denken beizubringen. 

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