DIE EMPATHIE-FALLE
DIE EMPATHIE-FALLE
Warum Führungskräfte in Zukunft mehr brauchen
Mark ist Kapitän auf der MS Europa und übergibt nach 40 Jahren das Ruder an seinen Nachfolger.
Ein junger Kollege, der sehr geschätzt ist, sehr kompetent und ebenso sympathisch wirkt. Dennoch, für die Kenner im Kreis, kommt er an die Empathie von Mark (noch) nicht dran.
“Eine fantastische Führungspersönlichkeit”. “Zutiefst empathisch, stets im Einklang mit den Gefühlen seiner Mitarbeiter, schnell dabei, ein sympathisches Ohr anzubieten, und geschickt darin, die Perspektive der Gäste zu verstehen”, so wird Mark im Rahmen seines 60. Geburtstag beschrieben. Seine Empathie wird als seine größte Stärke gelobt.
Als der Vergleich zu seinem geschätzten Nachfolger gezogen wird, bringt meine Frage die Lobgesänge im Raum jäh zum verstummen : “Affektive oder kognitive Empathie” frage ich nach?
Ich möchte verstehen, ob die 40 Jahre Erfahrung, die Tausende von Gesprächen und der Umgang mit Menschen aller Herkunft, Alter und Wertesysteme, ihn geformt haben, um in den unterschiedlichen Situationen ‘richtig’ zu handeln, oder ob das Geheimnis seiner geschätzten Art und seines Führungsstils ein tiefer liegendes emotionales Einfühlvermögen ist.
GEGEN EMPATHIE
Denn mich beschäftigt eine Irritation. Spätestens seit ich 2016 das Buch des renommierten Psychologen Paul Bloom “Gegen Empathie: Das Plädoyer für rationales Mitgefühl” las, denke ich über die Rolle der Empathie in Leadership nach.
Als der “Harvard Business Manager” diesen Monat auf der Titelseite plakativ “So geht Führung” schrieb und ‘Empathie’ als wichtigste Leadership Skill präsentierte, fing ich wieder an, über Definition und Verständnis von Empathie in Führung nachzudenken. Intuitiv hättest du sicherlich – wie ich – gesagt, Empathie ist sehr wichtig.
Und ja, das ist wichtig zu betonen: Ich halte Empathie für eine wichtige Eigenschaft. Die Frage, der ich aber nachgehen möchte, ist, ob Empathie tatsächlich die wesentliche Stärke ist, die Führungskräfte heute benötigen, oder kann sie vielleicht sogar in einigen Fällen ein Hindernis sein – nicht nur im konkreten Management-Kontext, sondern auch im Allgemeinen, im Streben nach einem “besseren” Leben?
Aber was ist eigentlich Empathie? Wie definieren wir für uns selbst die Kategorie “Empathische Führung”? Was verstehst Du unter “Empathie”? Die etymologische Definition des Wortes findet wie das Wort ‘Sympathie’ seinen Ursprung im griechischen “Pathos” – Kurzum: es geht um Fühlen und Gefühle. Bloom beschreibt Empathie wie einen Scheinwerfer, der nur sehr fokussiert verwendet werden kann. Du kannst also nur zu einer Person empathisch sein. Vielleicht, wenn du gut bist, kannst du zweierlei Gefühle gleichzeitig halten mit Blick auf zwei verschiedene Situationen und Personen – aber drei? Die US-Autorin, Annie Dillard, fand die bloße Idee so absurd, dass sie ironisch bemerkte: „In China leben 1.412.000.000 Menschen. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was das bedeutet, nehmen Sie einfach sich selbst – in all Ihrer Einzigartigkeit, Wichtigkeit, Komplexität und Liebe – und multiplizieren es mit 1.412.00.000. Sehen Sie? Nichts dabei.“
Empathie findet sich häufig in dem intuitiven und von Gefühlen geprägten “Bauchgefühl” über die Situation im Moment. Weder ist für die einzelne Person somit gewährleistet, dass ich das Richtige für eine langfristige Verbesserung tue, noch stelle ich sicher, dass meine Empathie für eine kollektive Gesamtheit im Allgemeinen Besseres bewirkt. Wenn wir unterstellen, dass das Ziel, zumindest im unternehmerischen Kontext, ein verständnisvoller – freundlicher! – Umgang miteinander und Fortschritt (Verbesserung) ist, so zeigt sich schnell, dass Empathie nicht an Freundlichkeit gebunden ist.
Denn es ist nicht so, dass Empathie automatisch zu Freundlichkeit führt. Empathie muss sich vielmehr mit bereits vorhandener Freundlichkeit verbinden. Empathie macht gute Menschen besser, denn freundliche Menschen mögen kein Leid, und Empathie macht dieses Leid deutlicher. Macht man also einen Sadisten einfühlsamer, würde das nur zu einem glücklicheren Sadisten führen, und wenn mir das Leiden des Menschen gleichgültig wäre, wäre sein Leiden nichts weiter als ein Ärgernis, worauf keine (positive) Handlung folgen würde.
Und ist nicht positive Handlung die Basis für Leadership – oder eben gute Führung – wie es HBM schreibt? Peter F. Drucker hat einmal zwischen Management (“doing things right”) und Leadership (“doing the right things”) unterschieden: Es geht darum, ‘das Richtige zu tun’. Die Grundlage von Business, Leadership und Unternehmertum ist Fortschritt – positiver Fortschritt. Hier greift Rationalität. Damit steht aber die Herausforderung, dass Gefühle und Empathie keinen psychologischen Mechanismus auslösen, der zu rationalem Handeln führt.
Ein Beispiel: Heute schreibt eine Zeitung über ein tragisches Ereignis, bei dem 200 Menschen ums Leben kamen, und am nächsten Tag wird festgestellt, es waren 2000. Fühlen wir uns dann 10x schlechter? Fühlen wir uns überhaupt schlechter? Zweifelhaft.
Tatsächlich kann das Schicksal eines Individuums mehr Gefühle hervorrufen als das von zweihundert, weil Individuen Gefühle auf vielfältige Weise hervorrufen können: Wir identifizieren uns mit einzelnen. Bloom erwähnt in seinem Buch hierbei zwei treffende Zitate. Stalin wurde angeblich einst mit den Worten zitiert: „Ein Toter ist eine Tragödie; eine Million Tote sind Statistik.“ Und Mutter Teresa soll einmal gesagt haben: „Wenn ich auf die Masse schaue, werde ich nie handeln. “Wenn ich mir einen ansehe, werde ich es tun.” Sofern wir erkennen können, dass Zahlen für moralische Entscheidungen von Bedeutung sind, liegt dies an der Vernunft und nicht an Gefühlen.
Und damit sind wir beim Kern von Blooms Argumentation angekommen. Empathie ist aufgrund ihrer einseitigen Natur eben kein hinreichender moralischer Leitfaden. Sie ist voreingenommen, kennt keine Abstufungen und keine Größenbezüge. Und Bloom kommt zu einer weiteren Erkenntnis. Empathie kann auch negative Konsequenzen für diejenigen haben, die sie erleben. Dies wird als ‘ungeminderte Verbundenheit’ beschrieben, eben, dass man so stark am Leiden anderer teilhat, dass es zum Stressfaktor wird. Seit den 70er Jahren finden wir solche Fälle unter der Kategorie “Burnout” . Diese Idee findet sich im gesamt Spektrum von der Wissenschaft bis hin zur buddhistischen Theologie.
Matthieu Ricard, der buddhistischen Mönch und Neurowissenschaftler, der von vielen als „der glücklichste Mann der Welt“ beschrieben wird, erklärt wie Buddhistische Texte zwischen “Sentimental Compassion” und “Great Compassion” unterscheiden. Das erste – das „sentimentale Mitgefühl“ – entspricht dem, was ich in diesem Artikel unter ‘Empathie’ verstehe, das zweite – das „große Mitgefühl ()“ – kann vereinfacht „Mitgefühl“ genannten werden. Nach Ricard ist das erste zu vermeiden, da es „den Bodhisattva erschöpft“.
Womit diese Argumentation sogar eine Rückkopplung zum Kern der Bodhisattva-Philosophie findet. Deren Gedanke ist, nicht nur für sich selbst und allein zur Erleuchtung zu erlangen und in das Nirwana einzugehen, sondern stattdessen zuvor allen anderen Wesenheiten zu helfen, sich ebenfalls aus dem endlosen Kreislauf der Reinkarnationen (Samsara) zu befreien. Es ist somit das zweite, was erzielt werden soll. Großes Mitgefühl ist distanzierter und zurückhaltender und kann auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten werden.
Auch in der Neuro-Wissenschaft wird inzwischen (z.B. von Tania Singer und Olga Klimecki) beschrieben, dass das “Große Mitgefühl” im Gegensatz zum empathischem Mitgefühl nicht bedeutet, das Leiden des anderen zu teilen: Vielmehr ist es durch Gefühle der Wärme, Sorge und Fürsorge für den anderen sowie eine starke Motivation gekennzeichnet, das Wohlbefinden des anderen zu verbessern. Mitgefühl bedeutet, für den anderen zu empfinden und nicht mit ihm zu fühlen, was durch fMRT-Studien zur Unterscheidung zwischen “menschlicher Wärme” und “Erschöpfung” belegt wird.
DIE BEFREIUNG VON ALTEN SELBSTVERSTÄNDLICHKEITEN
Ist das eigentliche Problem in der Wirtschaft und bei Leadern, dass nicht genug gefühlt wird, oder liegt das Problem eher an den richtigen Handlungen? Die “richtigen” Handlungen überhaupt erst zu definieren – und dann auch genug dafür zu tun, das Definierte umzusetzen – eben die Handlung selbst. Aktiviert Empathie?
Wir leben in einer Welt und einer Zeit, in der wir in (alten) Selbstverständlichkeiten gefangen sind, und nutzen Absolutheiten und Begrifflichkeiten, ohne uns selbst wirklich im Klaren zu sein, was wir meinen. ‘Digital Transformation’ – wozu transformieren wir uns denn? ‘Die Wirtschaft’, ‘Die Politiker’ usw. Wir brauchen einen ‘Purpose’, ohne ein Verständnis von Sinn, Sinnhaftigkeit, Sinnsuche und Sinngebung zu haben – was ist dann der Sinn von Purpose? Es wird verpackt und kategorisiert, verkauft, kommuniziert und reagiert. Aber, so scheint es mir, es wird immer weniger reflektiert.
Auch ich bin der Meinung, Empathie ist in vielerlei Hinsicht eine unverzichtbare Führungskompetenz. Sie fördert die Verbindung mit Menschen, verbessert die Kommunikation und schafft Vertrauen. Aber reicht Empathie aus? Oder noch provokativer gefragt: Ist Empathie wirklich immer vorteilhaft in der Führung oder kann sie sogar Schaden verursachen?
Bloom vertritt die Auffassung, dass unser Standardansatz zur Empathie zu voreingenommenen Entscheidungen führen könnte, indem wir diejenigen bevorzugen, mit denen wir uns natürlich verbunden fühlen und zu denen wir bereits eine Nähe haben, während wir oft eine breitere, objektivere Sicht der Situation vernachlässigen. Dies liege in der Natur von Empathie.
Das Leiden des eigenen Kindes verursacht mehr Schmerz als das Leid eines entfernten Kindes. So retten wir unser eigenes Kind zuerst, so würden vielleicht einige auch die sterbend kranke Mutter vor ihren drei jungen, gesunden Kindern retten. Sieht man Notärzte, die täglich am Zeitlimit arbeiten, stellt sich die Frage, ob wir die Vielfalt der Gefühle wollen und mehr Einfühlvermögen, oder eher die richtige Handlung.
So ist das Verhalten, das zu einer Verbesserung und Fortschritt führt, häufig eine kalkulierte, eine rationale und auf Erfahrung basierende Handlung. Und wie es zur Handlung kommt, beschreibt die Psychologie heute in der Definition: “Empathie ist der erste Schritt auf dem Weg zum Mitgefühl.” Nur wenn man das Leid eines anderen wahrnimmt und sich einfühlen kann, ist man imstande – im nächsten Schritt – Mitgefühl für diesen Menschen zu empfinden und danach zu handeln.” Aber ist das die Handlung, die ein Leader benötigt, um das Unternehmen und seine Mitarbeiter “nach vorne” zu bringen?
DER RATIONALE LEADER DER MITFÜHLT
Egal, wie wir subjektive Empathie definieren – hier steht die Frage, ob Empathie immer auf etwas einzahlt, oder wie eine “Empathische Führung” die Aktivierung für ein wie auch immer geartetes Ziel auslöst. Denn wenn wir sie als ‘wichtigste’ Führungskompetenz hervorheben, geht es um eine Aktivierung – eben Führung – und das, was folgt: die Auswirkung – der Fortschritt.
Bessere Führung müsste in der Definition Aktivierung hin zu einem positiven Fortschritt bedeuten. Das kann auf Gesellschaft und Menschheit als ganzes einzahlen, zum Beispiel sozialer Umgang und mehr Miteinander – wenn das Werte und Vorstellungen sind, die wir als wichtig empfinden – oder im Subjektiven kann es zu weniger Leid bzw. einer positive Progression für den Menschen führen, zu dem wir empathisch sein wollen.
Um es noch einmal zu betonen, daher noch einmal die Frage: Aktiviert “Empathie”? Wie trägt Empathie zu einer ‘besseren Welt’ bei? Was verstehen wir unter einer besseren Welt? Um diese Fragen zu beantworten, müssen viele Annahmen getroffen werden. Diese Annahmen führen dann zu einer Meinung über etwas. Diese wiederum basiert aber auf rationalen Erwägungen.
Bloom befürwortet “rationales Mitgefühl” – einen überlegteren Ansatz, der Verständnis mit evidenzbasierter Entscheidungsfindung verbindet. Diese Form des Mitgefühls wird nicht von der unmittelbaren emotionalen Flut beeinflusst. Stattdessen berücksichtigt sie die langfristigen Ergebnisse, denkt kritisch über die breiteren Auswirkungen nach und handelt basierend auf dem, was zu dem besten Gesamtergebnis führen wird.
Womit wir wieder bei Kapitän Mark wären. Er ist ein ‘Handlungsheld’. Das Heldenhafte ist nicht sein Gefühl, sondern die Handlung. Man könnte sogar behaupten, seine Gefühle spielen keine Rolle, solange der Empfänger das Gefühl hat, er fühlt mit – das Wesentliche bleibt die Handlung. An dieser Stellen können wir dagegenhalten, dass ein Gefühl – eben Empathie – erforderlich wäre , um zur Handlung zu kommen, aber eine derartige Anthropomorphisierung wird spätestens dann obsolet, wenn ein tieferes Verständnis für Kognition und die gegenwärtige Entwicklung der Technologie ins Spiel kommt.
Diese Herleitung geht auch einher mit meiner persönlichen Definition von “affektiver” und “kognitiver” Empathie. Bei zahlreichen Begegnungen wurde mir eine energetische und tief empathische Seite zugesprochen. Ein LinkedIn-User kommentierte die neue HBM-Ausgabe mit “Anders Indset hat schon längst Empathie als Leadership-Skill definiert.” Und das stimmt, ich glaube an die Gefühle, wobei es mir allerdings klar um Führung geht, um ein tieferes Verständnis auch vom Fortschritt.
Während die affektive Reaktion emotional ist, ist die kognitive eine analysierende und häufig auf Erfahrung beruhende Kompetenz. Hier liegen Daten und analytisches Vermögen zugrunde für eine mögliche Reaktion. So könnte Kapitän Mark genauso in der Kategorie der vielen Erfahrungen, gepaart mit Formen der Intelligenz (z.B. soziale Kompetenz, kategorisiert werden. Eine Fähigkeit, die ihn in die Lage versetzt, sich gefühlt empathisch zu verhalten.
Im Zeitalter der rasanten Entwicklung der künstlichen Intelligenz und verbundenen Analysemöglichkeiten in Echtzeit mit Kamera und Stimmerkennung, können präzise Aussagen über Gefühle und Gedanken des Gegenübers technologisch ausgewertet werden. Sogar auf Gruppenebene lässt sich dies heute analysieren. Demzufolge läge es nahe, daraus abzuleiten, dass in Zukunft Maschinen und/oder Roboter die perfekten kognitiven Empathiker werden könnten. Könnte die KI dann nicht, mit ihrer mangelnden emotionalen Beeinflussung und ihrer Fähigkeit, eine breite Palette von Daten wie Körpersprache, Mimik und Stimmfärbung zu verarbeiten, besser geeignet sein, rationale, mitfühlende Entscheidungen zu treffen? Wenn, ja, dann wäre es jetzt unsere Aufgabe, noch tiefer zu graben.
Und an dieser Stelle, kommen wir zum Kernpunkt meiner Argumentation. Mit allen Daten und wissenschaftlichen Erkenntnissen, mit den Grundlagen, die uns zur Verfügung stehen, sind es wirklich unsere Gefühle und Emotionen, die uns zu besseren Leadern machen? Können wir in bestimmten Situationen aus einer Gefühlswelt heraus oder basierend auf einem tieferen Verständnis von kurzfristigen und langfristigen, subjektiven und kollektiven Folgen moralischer handeln? Eine Wissensgesellschaft mit fühlenden und emotionalen Wesen ist vielleicht nicht das ultimative Ziel.
Vielmehr scheint mir eine bildende Philosophie ein Weg zu sein, als Grundlage für Kinder und auch Führungskräfte, die zu einer liebevolleren Gesellschaft führen. Dass wir zu Mit-Menschen werden und eine ‘innere Bindung’ zur Allgemeinheit haben – eine intrinsische Motivation, Gutes tun zu wollen – gepaart mit einem Verständnis für die Handlung und deren Konsequenzen im kleinen wie im großen, im Jetzt wie in Zukunft.
Diese rationale Überlegung bildet für mich die Grundlage einer Gesellschaft des Verstandes.
WIE KOMMEN WIR INS HANDELN?
Die Frage führt mich zum englischen Begriff “Compassion” und seiner gegenwärtigen, geläufigen Definition. Zwar hat auch ‘Compassion’ seinen Ursprung in der Passion, die eine Verwandtschaft mit dem Leiden hat, ähnlich der deutschen Unterscheidung von Leidenschaft und Leiden. Die Passion für etwas zu haben, eben eine Leidenschaft zu entwickeln, findet heute jedoch ihre Verbindung zu etwas Positivem – also für etwas zu sein. So findet auch Ex-Kapitän Mark seine Passion – eben die Leidenschaft – in einem positiven und guten Verhalten gegenüber seiner Umgebung. Dabei hat er analytisch sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen, die individuellen als auch die kollektiven Implikationen im Blick. Er handelt somit rational mit Leidenschaft, was die Betroffenen seines Handelns als empathisch erleben und sich in ihren Empfindungen und Bedürfnissen wahrgenommen fühlen. Hier finden rationales Mitgefühl und die kognitive empathische Haltung durch eine “richtige” Handlung ihre Symbiose.
Die Führung, wie wir sie kennen, steht an der Schwelle einer faszinierenden Entwicklung. Wenn wir weiter in diese Ära der KI- und datengesteuerten Entscheidungsfindung vordringen, stellen wir möglicherweise fest, dass unsere altbewährten Vorstellungen von Führung – so tief in Empathie verwurzelt – neu bewertet werden müssen.
In der Führungsaufgabe geht es darum – durch Technologie und/oder kognitive Fähigkeiten – die Gefühle der Mitarbeiter oder des Gegenübers zu verstehen. Aber es geht vor allem darum, auch die unmittelbaren Bedürfnisse sorgfältig gegen die langfristige Gesundheit und die Ziele des Unternehmens abzuwägen. Mit anderen Worten, es geht beim Unternehmertum darum, etwas zu unternehmen.
Bleibt aber noch unsere eigentlich – und entscheidende – Frage: Aktiviert Empathie, oder geht es häufig vor allem darum, Gefühle nachzuempfinden? Das Cover der aktuellen HBM-Ausgabe ziert ein Herz, doch wofür steht es?
Wir haben die Empathie immer als das schlagende Herz der Führung betrachtet. Vielleicht ist es an der Zeit zu erkennen, dass der Verstand – der rationale, mitfühlende Verstand – eine mindestens ebenso entscheidende Rolle bei der effektiven Führung spielen muss. Vielleicht ist er im Zeitalter des Technologischen Tsunamis – wenn es einen gibt – sogar die wichtigste Führungskompetenz.
In der rasanten Zeit des Fortschritts und der Entwicklung geht es vor allem um Aktivierung. So sind das Herz und die Empathie vielleicht nicht Cover-würdig, sondern besser unser Verstand? Und wem die Vorstellung einer Entschleunigung näher liegt: Auch dafür bräuchte es eine Aktivierung als Grundlage – wie auch für die Verfolgung jeder anderen wie auch immer gearteten Theorie.
Versteh mich nicht falsch, auch ich bin davon überzeugt, dass wir mehr fühlen sollten, aber vielmehr geht es in Führungspositionen der Wirtschaft um das “Füllen”. Es geht darum, Gespräche, Auseinandersetzungen und Situationen mit Inhalt und Fortschritt zu füllen. Die Rolle des Leaders ist vor allem eine: positiven Fortschritt herbeizuführen. Dabei benötigt es kognitive Empathie – die ‘richtige’ Reaktion und Handlung – und eben rationales Mitgefühl.
Die Definition von Empathie, und die oben beschriebene Unterscheidung zwischen affektiver und kognitiver Empathie ist nicht trivial, ebenso die Abgrenzung zu Sympathie und Mitgefühl. Aber wenn auch der Dalai Lama sich als “Wirtschaftsweiser” präsentiert, dann lässt sich aus seinen Worten eben einiges in Sachen Führungskräftentwicklung ableiten: “Capitalism is a working model, but it needs compassion”. Was weitere persönliche Gespräche zu “So geht Führung” hoffentlich anstoßen wird.