AUFHOLTRÄUMER DER TECHNOLOGIE: Wie Aleph Alpha erneut das Problem der deutschen Technologie-Landschaft offenbart

Was neu und anders ist, gilt als gefährlich. Die alte Haltung „We are the Germans, we do it right the first time“ bedeutet: Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, dann ist es gescheitert. “Identitätskrise”, “Sinnkrise”, „Der Hype nähert sich dem Ende“, „aufgeblasene 500-Millionen-Finanzierung“. So lauten die Schlagzeilen über den jüngst gefeierten „Retter der Nation“, Jonas Andrulis, und sein Unternehmen Aleph Alpha. Habeck, die Bundesregierung und die Investoren – alle träumten von einem Leuchtturm der KI-Szene. Endlich, nach Jahrzehnten der Technologie-Dürre, sollte alle Welt es sehen: Deutschland ist zurück!.

EIN TECHNOLOGISCHES IRRENHAUS

Nicht Aleph Alpha befindet sich in der Sinnkrise, sondern Deutschland. Einst das Land der Dichter und Denker, Entdecker und Erfinder der Quantentheorie und Produkte, die auf wissenschaftlichen Fundamenten bauten, läuft seit Jahrzehnten identitätslos dem technologischen Tsunami hinterher.

Das Kernproblem aus meiner Sicht: das Technologieverständnis. Und vor allem das mangelnde Verständnis der Technologien von morgen. Als Amazon AWS und Googles Cloud-Angebote aufkamen, war die Kommunikationsstrategie aus Berlin vor zehn Jahren klar: Sicher nicht! Sicher ist nur, wenn die Server in der eigenen Firma stehen! Aufrüstung an Hardware und Firewalls lautete die Empfehlung. Cloud made in USA? Nein, danke! Was dann folgte, waren Träumereien: Gaia-X würde dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier zufolge ganz Europa aufholen lassen. Fünf Jahre später dann die Ernüchterung – und Schlagzeilen wie diese: „Gaia-X: Niemand braucht einen goldenen Käfig“.

Es folgte der Kollaps von Wirecard. Ein weiteres Prestigeprojekt, bei dem sich Investoren und die Bundesregierung ausgemalt hatten, dass der profitabelste Teil der Wertschöpfungskette der Zahlungsvermittler sein werde. Werden Produzenten und Konsumenten das akzeptieren? Ist das die Technologie im 21. Jahrhundert? Ein Modell zum Scheitern verurteilt.

Mich als Norweger erinnern die Versuche, in Deutschland in puncto Tech aufzuholen, an eine Fahrt auf der deutschen Autobahn. Einst war Überholen möglich, heute sind die Straßen voller Baustellen und Umleitungen, die alles außer Geschwindigkeit und Überholmanövern ermöglichen.

Im Digitalzeitalter können sich alle schnell fortbewegen, aber nur wer die nächste Kurve antizipiert, hat einen Wettbewerbsvorteil. Wenn die digitale Infrastruktur den hiesigen Schienen und Straßen gleicht, braucht man sich nicht wundern.

Das Aufholen ist keine Strategie, sondern die Notwendigkeit, um überhaupt mitzuspielen. Kurz gesagt: Geld wird (nur dann) verdient, wenn man die nächste Kurve rechtzeitig antizipiert – und dies gilt auch für Aleph Alpha.

DAS PROBLEM HEIßT NICHT JONAS ANDRULIS

Wenig überraschend hat Deutschland auch den KI-Zug der Large Language Models verpasst. Dieselben Medien, die Aleph Alpha noch vor Monaten als OpenAI-Wettbewerber aus Heidelberg und als globalen KI-Leuchtturm im LLM-Markt besprachen, kennen jetzt nur noch ein Resümee: Projekt gescheitert. Ob das Investment tatsächlich bei 100 Millionen, 300 Millionen oder 500 Millionen liegt, spielt in dieser Argumentation keine signifikante Rolle. Mit welchem Technologieverständnis traut man sich zu, den globalen Anbietern wie Google, Microsoft, Amazon und Alphabet Paroli zu bieten?

Um das hiesige Missverständnis von Technologie und Realität zu verdeutlichen, genügt ein Blick auf die sogenannte „Burnrate“: also, was ein Unternehmen an Geld verbraucht, um zu skalieren – ein Indikator dafür, wie lange eine Finanzierung reichen wird. ChatGPT kostet aktuell 700.000 USD pro Tag! Das sind 255,5 Millionen pro Jahr. Heißt: Selbst wenn das Modell von Aleph Alpha über Nacht genauso gut wäre, wäre das Geld sofort weg, sobald sie Nutzer gewinnen würden.

Ein weiteres Missverständnis betrifft den Ressourcenbedarf beim Aufbau eines LLM- Anbieters. Selbst wenn alle Bücher vom LLM gelesen, alle Podcasts gehört und alle Filme geschaut wurden, reicht das nicht, um mitzuhalten. ChatGPT sticht hervor durch das Volumen an (vor)generierten Trainingsdaten und das Fine-Tuning mit menschlichem Feedback. Jahrelange Arbeit und Milliarden-Investitionen flossen in die Entwicklung, unterstützt durch modernste Deep-Learning-Techniken und -Frameworks, leistungsfähige Hardware und Optimierungsalgorithmen. Mit wenigen hundert Millionen so etwas nachzubauen ist völlig naiv – es braucht Milliarden, nahezu unbegrenzte Rechenkapazität und die richtige Manpower.

Nicht nur ist das Aufholen unrealistisch, sondern vor allem auch die Geschwindigkeit des Mithaltens: Meta plant, 2024 für ihr Modell 350.000 neue Chips anzuschaffen, Kostenpunkt 5 Milliarden. OpenAI verkündete vor einem Jahr, sie wollten sich 10 Millionen sichern für ihren Ausbau!

Das große Geld, Bekanntheitsgrad weit über Deutschland hinaus, prall gefüllte Kassen, Handshake mit Habeck, Support von Scholz – Jonas Andrulis hat alles richtig gemacht. Mitnehmen! So sollten es alle Gründer machen. Es bleibt nur ein „Glückwunsch“. Aber haben Medien und Politiker wirklich gedacht, dass eine geniale Truppe aus Heidelberg einfach so schnell und günstig alles nachbauen kann? Hier sind wir beim wirklichen Problem angekommen. Zu meiner Investment-Strategie gehört eine Grundregel: Ich will die Technologie verstehen. Meine Investments folgen dem „ROL“-Prinzip – Return on Learning. Und dafür sind nicht große Buzzwords und Talkshow-Präsenz die Lösung; sondern ein grundlegendes Verständnis, ein Blick unter die Haube.

DIE GEBURT DER INDUSTRIE-KI

Anders als damals beim Cloud- und Payment-Wahn hat Deutschland in Sachen KI noch eine Chance. Nicht in in der Entwicklung von LLMs und nicht, weil sie „New Business“ haben, sondern durch die Old Economy. Ich bezeichne dies als „Industrie-KI“.

Ausgerechnet Dieter Schwarz hat den Kampf um die Zukunft aufgenommen. Die neue Tech-Stadt Heilbronn ist nicht der offensichtlichste Ort für digitale Innovationen. Mit 84 ist Schwarz nicht der typische Silicon-Valley-Tech-Gründer. Dennoch treibt die Schwarz- Gruppe den digitalen Wandel voran wie kaum ein anderes Unternehmen in Deutschland. Was in Berlin nicht passiert, wird heute in Heilbronn gebaut. Durch Eigenbedarf in der Gruppe entwickeln sie Lösungen.

Cybersecurity: ein wichtiges Thema? JA, unternehmenskritisch. Die Infrastruktur der Schwarz-Gruppe mit globalen Marktführern aus Israel bietet anderen Unternehmen in Deutschland Hilfestellung und konkrete Lösungen. Die Strategie von Schwarz und seinem Komplementär und Vorstandsvorsitzenden der Schwarz-Gruppe, Gerd Chrzanowski, zeigt, wie es gehen kann.

Und hier entsteht der mögliche Kern von Aleph Alpha. Um in der klassischen Terminologie der German Old Economy zu bleiben, braucht es eine neue Fabrik, eine KI-„Use-Case- Fabrik“ für Deutschland. Industrielle Anwendungen und Prozesse werden auf ihr Optimierungspotenzial hin geprüft, gestützt durch Industrie-KI.

INDUSTRIE-KI ALS ZUKUNFTSHOFFNUNG?

Industriespezifische Lösungen sind profitabel, der Digital-Bereich der Schwarz-Gruppe wächst rasant. Fachkräftemangel? Fehlanzeige. Dort wollen die Technologiegestalter von morgen arbeiten, auch wenn es weder Silicon Valley noch Berlin ist. Für Heilbronn erhalten sie monatlich Tausende von Bewerbungen, so die Führungskräfte von Schwarz Digits. Und so lehren uns Kaufmänner der traditionellen Schule, wie wir morgen leben werden. Wie der Konzern einst aufgebaut wurde, geht es auch heute darum, zu antizipieren, wie die Menschen in Zukunft leben und was die Unternehmen brauchen werden. Genau hier könnte die deutsche Industrie-KI aufblühen: branchenspezifische Intelligenz, die auf bestehende KI-Lösungen aufgesetzt wird. Ausgerechnet Schwarz gehört zu den Geldgebern von Aleph Alpha und baut laut Medienberichten Druck auf.

Dank seines neu entstehenden KI-Zentrums Ipai und mit SAP und Bosch onboard, hat Aleph Alpha einen direkten Zugang zur deutschen Industrie und somit einen Vorteil gegenüber den internationalen Super-LLM Riesen.

Vielleicht hat Aleph Alpha kein Identitätsproblem, sondern ein Kommunikationsproblem? Es war nie und wird nie ein Wettbewerber von OpenAI sein. Wie Jonas Andrulis selbst bemerkt: “Die Antwort kann nie Aleph Alpha allein gegen Microsoft sein”. Aleph Alpha muss und kann jedoch zu einem führenden Industrie-KI-Anbieter werden, indem sie profitable Geschäftsmodelle durch den Einsatz von Technologie mit kontextbezogenen Spezialmodellen und Domänenwissen entwickelt.

Die Hidden Champions wurden Weltmarktführer aus einem einfachen Grund: Sie besitzen spezielles Domänenwissen.

Und dieser Ansatz mit Fokus auf Industrie-KI könnte sich am Ende vielleicht sogar als profitabler erweisen als der Betrieb der teureren und energieintensiven Datenmodelle der Super-LLMs, auch wenn die Grenzkosten für Energie in den nächsten Jahrzehnten stark sinken werden.

Industrie-KI kann und wird mit virtuellen KI-Assistenten Produktionsprozesse optimieren. Vorausschauender Wartung, Optimierung der Supply Chain, das Zusammenspiel mit Robotiks, sowie Qualitätskontrollen und Verwaltung von Lager- und Logistik. Auch wenn dies mit großen LLMs möglich ist, kommen hier Branchenvorteile und das Industrie-Know-how voll zur Geltung: Produktivität steigern, Ausfallzeiten verringern, Kundenservice für Spezialbetriebe, die auf spezifische Prozesse trainiert werden. Ich bezeichne dies als “Large Expert Models”. Spezialisierte Modelle für industrielle Anwendungen. Echtes Business. Ein gigantischer Markt.

Für Aleph Alpha braucht man sich nur das jüngst gegründete Joint Venture mit PwC anschauen. Creance greift die 18.000 regulatorischen Auflagen unter der neuen EU- Verordnung „Digital Operations Resilience Act“ (DORA), die ab dem 17. Januar 2025 greift, auf. PwC geht hier allein von einem Beratungsmarkt von hunderten Millionen Euro aus, schreibt das Handelsblatt. Banken, Versicherer und Zahlungsdienstleister unterliegen der neuen Regelung, und allein der Compliance-Bereich dürfte für Aleph Alpha ein profitabler Zweig werden, der gleichzeitig Bürokratie bewältigt und Verträge prüft. Durch Creance ermöglichen PwC und Aleph Alpha die Grundlage dafür, dass sich Unternehmen auch in Deutschland auf das Wesentliche konzentrieren können. Von Industrie 4.0. zu Industrie-KI Made in Germany.

Industrie-KI bedeutet nicht bunte Bilder und hübsche Likeable-Social-Media-Posts für Personal Branding, sondern Business.

In der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit können Gewinner erzielt werden. Hochkomplexe und vertrauliche Dokumente sind vielleicht nichts für GPT-4 aus Sicht der deutschen und europäischen Industrieunternehmen, und genau hier findet sich vielleicht der Markt für die deutsche KI Use-Case Fabrik.

In wenigen Jahren kann man dann plausibel darstellen, dass dies auch von Anfang an der Plan gewesen sei, denn wer dachte Aleph Alpha könnte ohne Personal, Track-Record und genügend Kapital zehn Jahre in wenigen Monate aufholen und sich Microsoft und Co. stellen, wird auch vermutlich auch morgen nicht das Problem der deutschen Technologie- Landschaft beseitigen. Aber wie heißt es so schön: “Die Hoffnung stirbt zuletzt”… Aber sie stirbt. Um die technologische Zukunft zu antizipieren, bleibt für Deutschland nur eins: Sapere aude! – Statt Buzzword-Bingo und feuchten Träume, sollten wir den Mut aufweisen, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen!

Publiziert auf Cicero 25.07.24: https://www.cicero.de/wirtschaft/aleph-alpha-jonas-andrulis-kunstliche-intelligenz-kritik

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