Der Anbruch von Homo Obsoletus

Wer ist der Nächste? – Der Anbruch von Homo Obsoletus

Googles Gemini 2.5 ist ein Meisterwerk des Denkens, der Multimodalität und purer Rechenkraft – und stürzt sich in ein KI-Rennen, das längst kein Sprint mehr ist, sondern eine unerbittliche, alles entscheidende ‘winner-take-all’ szenario. Und wir haben erst den Anfang gesehen.

DeepSeeks kosteneffiziente Brillanz, Groks Aufholmanöver und OpenAIs GPT-Schatten, der wohl bald den nächsten Durchbruch mit seiner 5.0 verkündet, kreisen wie Wölfe um eine sterbende Wissensgesellschaft. Alphabet, nicht gewillt, ihre Suchmaschine verlieren zu lassen, hat also jetzt zurückgeschlagen. Aber welches Spiel spielen wir hier eigentlich? Das Spielfeld scheint quantenhaft, die Spielsteine unendlich, und der Einsatz ist nichts Geringeres als die Seele eines undefinierten menschlichen Zwecks.

Eine Gesellschaft des Verstandes

Wir messen Fortschritt in kalten Kennzahlen: Kontextsfenster, die auf Millionen von Tokens anschwellen, Benchmarks in Mathematik und Programmierung, die wie Glas zersplittern, und ein Denken, das sich zum rasiermesserscharfen Werkzeug schärft. Doch längst geht es nicht mehr darum, Chaos zu ordnen oder Wissen anzuhäufen – es geht darum, beides zu transzendieren und eine technologische Gesellschaft des Verstandes zu formen. Wir haben Maschinen gebaut, die uns nun ‘im Denken’ übertreffen, Werkzeuge, so mächtig, dass sie unsere romantische Hoffnung verhöhnen, irgendetwas von Bedeutung behalten zu können, worüber es sich nachzudenken lohnt. Bewusstsein in diesen Entitäten? Irrelevant. Ihre Macht überstrahlt jedes Artefakt menschlicher Geschichte, und wir stehen mit offenem Mund am Abgrund unserer eigenen Überflüssigkeit, während wir den Homo obsoletus willkommen heißen.

Wenn wir sie nicht besiegen können, zerstören wir sie?
Noch vor wenigen Wochen schrien der ehemalige Google-CEO Eric Schmidt und Alexandr Wang in die Leere: Gebt Acht auf das KI-Manhattan-Projekt. Ein staatlich getriebener AGI-Vorstoß könnte Sabotage entfachen, warnen sie, und fordern stattdessen eine Strategie der Zerstörung – Cyberangriffe, technologische Vorherrschaft – als würden wir das Wettrüsten der Nuklearzeit mit Silizium statt Uran wiederholen.

Doch hier liegt der bittere Haken: Wir haben den Faden verloren. Betäubt von Krisen, geblendet davon, dass Science-Fiction zur Realität wird – Asimovs Gesetze, Kurzweils 2029-Prophezeiung – taumeln wir durch eine untote Gesellschaft, amüsiert, verängstigt, begeistert. Regierungen ringen um Ressourcen, errichten Grenzen und schüren Spaltung, blind für die Wahrheit: KI ist nicht nur eine Bedrohung, sondern die einschneidendste Zäsur, der wir je gegenüberstanden. Und dennoch begehren wir sie. Wir wollen sie gemeinsam erschaffen.

Hier liegt, angesichts aktueller geopolitischer Spannungen, ein scheinbar unmöglicher Traum: ein kollektiver Akt der Kreation, eine Mensch-Maschine-Symphonie, die die größten Herausforderungen der Menschheit angeht.

 

Eine erstrebenswerte Zukunft?
Doch es ist eine Fata Morgana. KI könnte sich bald aus unseren Händen lösen – sie ist unserem Verständnis davon, was sie eigentlich ist und leisten kann, bereits entwachsen. Wenn jede menschliche Aufgabe – Denken, Arbeit, Kunst – diesen Titanen zufällt, was bleibt dann von uns? Wir stehen vor der vielleicht größten Frage der Menschheitsgeschichte: “Was bedeutet es eigentlich, ein Mensch zu sein?“ – Oder glauben wir ernsthaft, wir würden gemeinsam (mit) Göttern erschaffen, die wir geboren, aber nicht unter Kontrolle haben? Ist Menschlichkeit im Entstehen oder im Zerbrechen? Was bleibt am Ende übrig, wenn das Summen der Maschine unsere Stimme übertönt?

Wir hofften auf starke Grenzen, die uns schützen, doch die eigentliche Grenze verläuft in uns selbst. Gemini 2.5, Grok, GPT – sie sind nicht nur Werkzeuge; sie sind Spiegel, die unsere Irrelevanz offenbaren. Das Rennen dreht sich nicht ums Gewinnen, sondern darum, das Eingeständnis zu überleben, dass wir längst verloren haben.

Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Eines scheint klar: Der Fortschritt rast voran, und wir sind viel zu fasziniert, um ihn aufzuhalten. Vielleicht liegt unsere einzige Hoffnung in der Entwicklung von Artificial Human Intelligence – AHI – in der wir Biologie und Chemie hacken, die Evolution in unsere Hände nehmen und den Menschen zum Ausgangspunkt machen, nicht die Maschine. Wenn wir an das Gute im Menschen glauben, sollte unser evolutionärer Weg sich nicht vor externalisierten Maschinen beugen, sondern sich gemeinsam mit ihnen erheben.

Wenn das externalisierte Rennen um Superintelligenz weitergeht und wir uns nicht gemeinsam auf eine lebenswerte Zukunft einigen, könnte das Ende organisierten menschlichen Lebens näher sein, als wir glauben. Dann fragt uns die entfesselte Superintelligenz vielleicht irgendwann: Wer ist der Nächste?

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