Wenn der Tesla Bot meinen 911 Benziner spazieren fährt

Zugegeben, ich besitze weder einen Tesla Bot noch einen Porsche 911, aber könnte ein Roboter als Fahrer die Brücke zum autonomen Fahren sein? Werden wir unseren Hausroboter, der unseren Kindern bei den Schulaufgaben hilft und sich um die Oma kümmert, in den Koffer packen, wenn wir in den Urlaub fliegen? Oder sitzt er neben uns im Flieger?

Werden wir mit unserem menschlichen Drang nach Individualismus und Ästhetik, wirklich alle nur die Standardversion des neuen Humanoiden zu Hause haben, oder schicken wir ihn zum Friseur oder bestellen maßgeschneiderte Anzüge für ihn?

Diese Fragen kamen in den letzten Tagen auf, als es bei zahlreichen Veranstaltungen um zukünftige Geschäftsmodelle, die Herausforderungen der Konsumgesellschaft und den Klimawandel ging.

Das Problem Zukunft – Wie viele Windräder hat Deutschland?

Warum fällt es Politikern, Führungskräften und den Medien so schwer, die Zukunft zu antizipieren? Fortlaufend werde ich mit Studien konfrontiert, die mir erklären wollen, was alles nicht geht und was falsch oder richtig ist. Millionen schalten Talkshows ein und lassen sich von Experten mit großer Reichweite komplizierte Weltthemen in tweetfähige Zitate zerlegen. Ein halbes Jahr später kommt es dann doch anders. Beispiel gefällig? Die Energiewende. Die Diskussionen über die Probleme bei Solar, die Herausforderungen mit seltenen Erden und mangelnden Grundstoffen, das unmögliche Umsetzen von Wasserstoff in Strom und die Mängel von Windenergie sind endlos. Verschwendete Zeit oder wichtige öffentliche Debatte?

Um dieser Frage näherzukommen, sollte man nicht von rückwärtsgewandten Analysen ausgehen, die mit unserer heutigen technologischen Wirklichkeit nichts zu tun haben. Stattdessen sollten wir uns die Frage stellen: Was glauben wir wirklich, wie wir in der Zukunft leben werden? 

Ein Atomkraftwerk in Deutschland braucht vermutlich 15-20 Jahre bis es in Betrieb genommen werden kann. Der Reaktor-Neubau im benachbarten französischen Flamanville begann 2007 und soll dieses Jahr in Betrieb gehen – zwölf Jahre später als ursprünglich geplant. Wohl kaum ginge es mit der aktuellen “Deutschlandgeschwindigkeit” schneller.  Aber wie sieht unsere technologische Welt in 15-20 Jahren aus?

Ein Windrad der aktuellen Technologie kann etwa 4.000 Haushalte mit Strom versorgen. Hochrechnungen mit Windrädern älterer Generationen kommen auf etwa 40.000 Windräder auf dem Land, die Deutschland bräuchte, um alle Privathaushalte zu versorgen. Mit einem teilweise bis zu acht Jahre dauernden Genehmigungsverfahren klingt das nach viel. Glücklicherweise gibt es ja noch die Sonne, und auch das Thema Offshore-Wind wird langsam zu einem interessanten und bezahlbaren Thema. Meine Heimat Norwegen hatte im April einen negativen Spotpreis pro kWh – vor Steuern und Netzgebühren. Jetzt denkst du sicher, das liegt an der Schneeschmelze und der raschen Entwicklung im Ausbau der erneuerbaren Energien? Auch wenn es ein komplexes Thema ist, klingt es fast absurd, dass Norwegen an diesem Tag den Strom zum Minuspreis aus Deutschland importierte, da die Überproduktion an deutscher Offshore Windenergie nicht in die südlichen Bundesländer transportiert werden konnte. Aber bleiben wir bei den Windrädern auf dem Land. Wie viele gibt es bereits? 2.000? 5.000? Noch mehr? Und hier kommen wir zum großen gesellschaftlichen Problem: Weder wissen wir, was die heutige Technologie leisten kann, noch machen wir uns Gedanken über deren zukünftige Entwicklung. 

1991 löste das Stromeinspeisungsgesetz eine kraftvolle Ausbauwelle von Windenergie in Deutschland aus. Stromnetzbetreiber waren verpflichtet, Windkraftstrom zu festgelegten Preisen abzunehmen. Deutschland stieg zur Weltspitze auf in Sachen Windkraft, und bereits nach sechs Jahren, 1997, waren mehr als 5.000 Anlagen in Betrieb. Heute bewegen wir uns in Richtung 31.000 Windräder – nur auf dem Land. Somit stünden wir aus heutiger Sicht bereits bei 77,5%. 

“Erneuerbare Energien: Deutschland muss bis Ende 2029 täglich sechs Windräder bauen” lautet eine Headline im Handelsblatt, und Experten klären auf, warum zukünftige Ziele kaum zu erreichen sind. Dabei sind heutige Windräder – auch wenn sie mehr Platz brauchen – um das Mehrfache leistungsstärker gegenüber älteren Generationen. Es handelt sich hierbei um keine absolute Argumentation und es spielen viele Faktoren wie Wirtschaftlichkeit, lokale Interessen und Erhaltung der Artenvielfalt etc. eine Rolle. Glauben wir aber wirklich an eine Stagnation der Entwicklung und prognostizieren die Zukunft auf der Grundlage alter Technologien? Die Investitionssummen steigen, die technologische Entwicklung schreitet rasant voran. So kommen beispielsweise Hans-Josef Fell und Thure Traber im Gastbeitrag für Klimareporter zu einer ganz anderen Konklusio:“Wir brauchen keine weiteren Flächen und Windparks, wir müssen nur die vorhandenen ersetzen”. Laut Traber und Fell müssten bei einer Versorgung von ganz Deutschland mit 100 Prozent erneuerbaren Energien in allen Energiesektoren – Strom, Wärme, Verkehr, Industrie – bis 2030 etwa 24.000 Windkraftanlagen installiert sein. Ein Rückgang! Also von den heutigen 31.000. So haben wir es also weder mit einem Problem der Fläche noch mit einem technologischen Problem zu tun, sondern mit einem Umsetzungs- und Verständnisproblem. 

Bezüglich Offshore-Windkraft und grünem Wasserstoff gibt es ebenso technologischen Fortschritt, der neue Möglichkeiten eröffnet, auch in Sachen Distribution. Technologien wie eine potenzielle Neubeschichtung von bereits vorhandenen Gas-Pipelines aus der Ukraine könnten zukünftige Transportprobleme von grünem Wasserstoff lösen. Der Einsatz von neuen exotischen Materialen und 3D-Verfahren ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass es weiter geht. Und den großen Gewinner haben wir uns hierbei überhaupt nicht angeschaut… Denn wir haben Zugang zu einer nahezu unendlichen Energiequelle: die Sonne. 

Welche Zukunft können wir antizipieren? Glauben wir wirklich, dass wir in 5-10 Jahren noch mit der heutigen Technologie arbeiten? “Atombatterien mit 50 Jahren Laufzeit? Nicht in Deutschland – laut eines Experten” – eine typische Meinungsäußerung aus den Medien Anfang des Jahres. Das Unternehmen Betavolt Technology stellt Batterien her. Das Ziel: einmal Laden 50 Jahre Lebensdauer. Jetzt kann dagegen argumentiert werden, das Thema kann negiert werden, weil es unrealistisch ist, die Batterien eigenen sich nicht für Smartphones, und vielleicht kommt es auch nicht so, und wenn, vielleicht überall nur nicht in Deutschland? Aber sind wir damit am Ende der Entwicklung angelangt? Schließen wir aus, dass es Batterien gibt, die vielleicht  eine Laufzeit von 10 Jahren, oder 1 Jahr, oder zumindest 1 Monat in den nächsten Jahren ermöglichen? 

Unsere exponentielle Zukunft

Prognosen werden oft kurzfristig überbewertet, was zu Enttäuschungen führt. Doch nach anfänglicher Skepsis und Enttäuschung folgt ein Durchbruch, der dann wiederum unterschätzt wird. Dies führt zu rapiden Entwicklungen und neuen Geschäftsmodellen. Ray Kurzweil beschreibt dieses Phänomen als das Gesetz der beschleunigenden Erträge (Law of Accelerating Returns), das besagt, dass technologischer Fortschritt sich exponentiell beschleunigt. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Schachbrett-Problem: Der Legende nach soll Sissa ibn Dahir  aus dem dritten oder vierten Jahrhundert n. Chr. in Indien seinem tyrannischen Herrscher Shihram das exponentielle Denkens beigebracht haben, indem  er ihm eine Belohnung für das Erfinden des Schachspiels in Getreidekörnern zukommen ließ. Sein Wunsch klang einfach. Sissa wollte nur, dass auf das erste Feld eines Schachbretts ein Korn gelegt wird, auf das zweite Feld das Doppelte, also zwei, auf das dritte wiederum die doppelte Menge, also vier, und so weiter. Mit den 20 Feldern und Verdoppelungen sollte es eine überschaubare Menge geben und Sissa wurde von seinem Herrscher ausgelacht. 

Das Ergebnis für das gesamte Schachbrett? 18 Trillionen, 446 Billiarden, 744 Billionen, 73 Milliarden, 709 Millionen, 551 Tausend, 615. Das entspricht etwa dem tausendfachen der weltweiten Weizenernte, oder wenn 1 Korn pro Sekunde gezählt wird, werden 585 Milliarden Jahre benötigt. 

Gedanken über eine technologische Zukunft werden häufig als futuristisch und radikal abgestempelt. Doch angesichts einer kontinuierlichen Entwicklung, die Ray Kurzweil seit 40 Jahren ein Mal im Jahr aktualisiert und die man mittlerweile 80 Jahre zurückverfolgen kann, stellt sich die Frage: Warum sollte sie ausgerechnet jetzt enden? Was wären die Gründe dafür? Ich sehe keine. Vielleicht verlangsamt sich das Tempo, aber ein Ende scheint mir noch lange nicht in Sicht. Eine Fortsetzung dieser Entwicklung erscheint mir daher plausibler. Denn auch im Bereich der grünen Energie können wir eine exponentielle Entwicklung sowohl der grünen Technologie als auch des Ausbaus und  der Nutzung beobachten. In der Quantentechnologie spricht man sogar von einer doppelten Exponentialität.

Die antizipierte  Zukunft

Was denkst du? Haben wir nach 80 Jahren exponentiellen Wachstums das Ende erreicht? Oder glaubst du sogar, dass wir vor einer Regression stehen? Spätestens seit dem Durchbruch der Large Language Models wie GPT in den letzten zwei Jahren sollten wir endgültig erkennen, dass wir den Einfluss von Technologien zwar kurzfristig überschätzen. Es folgen Enttäuschungen, und Experten treten mit breiter Brust auf. Dann kommt aber der Durchbruch, und wir unterschätzen die Entwicklung – es herrscht Chaos, es entstehen große neue Geschäftsmodelle und eine rasante Entwicklung. In den nächsten Jahren werden wir beobachten können, dass auch in Bereichen wie der Gesundheit, Energie, Bildung und Finanzen gewaltige Entwicklungen entstehen. Der Zug der Large Language Models ist abgefahren. Nischen-Bereiche und “Spezial KI” können noch für die Industrie Chancen bieten, die exponentielle Zukunft liegt aber in “Large Event Models”, denn die Entwicklung betrifft bereits heute viel mehr als nur die Sprache (Language). Diese zu antizipieren und mitzuprägen ist die Rolle aller deutschen Zukunftsgestalter.

Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir heute benötigen, ist es, die Zukunft zu antizipieren. Studien können sicherlich hilfreich sein, und Experten haben in vielen Bereichen noch ihre Berechtigung. Wir müssen aber vor allem zukünften. Wir müssen uns dringlichst eine Umsetzungskompetenz aneignen, mit der wir eine reflektierte Vision über mögliche und vor allem realistische Zukunftsszenarien in die Tat umsetzen.

Öl und Gas werden uns nicht ausgehen, aber in wenigen Jahren sind sie nicht mehr wettbewerbsfähig. Bevor wir ein Atomkraftwerk in Deutschland bauen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es nahezu kostenlose Energie für Industrie und Bürger gibt und die Nostalgiker ihren alten Benziner 911er auf dem Land von einem humanoiden Tesla Bot spazieren fahren lassen, gekleidet in der Humanoid-Kollektion von Hugo Boss mit Hipster-Sneakern aus Herzogenaurach.

Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind nicht die Limitierung der Technologie, sondern das Verständnis der Potentialität mit einer kollektiven Entscheidung, welche Zukunft für uns – die Menschheit – erstrebenswert ist. Wir müssen nur hinschauen, nachdenken und umsetzen.

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