HOMO OBSOLETUS

…oder wird es eine bewusste Revolution in einer Quantenwelt geben?

Werden wir obsolet werden? Nun, theoretisch könnten wir das, denn höchstwahrscheinlich werden wir in nicht allzu ferner Zukunft in der Lage sein, alles, was wir geschaffen haben, neu zu erschaffen. Mit den Fortschritten der künstlichen Intelligenz und den Durchbrüchen in der Quanteninformatik, kombiniert mit dem exponentiellen Fortschritt in der Nano- und Biotechnologie, werden wir revolutionäre Veränderungen erleben. Schließlich werden wir uns dem Reverse-Engineering des ‘Menschseins’ nähern und unsere geschaffene Realität durch Algorithmen neu aufbauen. Zum ersten Mal in der Geschichte verlagern wir wesentliche Autoritäten in die Algorithmen – weg vom Menschen – wir spielen mit Technologien, die niemand versteht, und wir schaffen eine Intelligenz, die über unseren derzeitigen Bewusstseinsstand hinausgeht.

Die etablierten Medien erzählen uns vom exponentiellen Fortschritt der AKI (Allgemeine Künstliche Intelligenz), von Quantencomputern, die “vor der Tür stehen”, und von Robotern und Automatisierung, die unsere Arbeitsplätze ersetzen. Werden es 30 % oder werden es 60 % sein – und welche Arbeitsplätze wird es tatsächlich treffen? Theoretisch gesehen ist niemand sicher, und da wir, zumindest die meisten von uns, weder bewusste Wesen noch rationale Denker sind, stoßen wir immer wieder an Grenzen, ohne die möglichen Folgen zu verstehen.

Es heißt, dass wir mit allgemeiner Künstlicher Intelligenz, vermutlich aufbauend auf Prinzipien der Quantentechnologie – eine ‘Quantenintelligenz’ – die menschliche Intelligenz übertreffen und eine Art Singularität erreichen. Mit dieser (evolutiven) Entwicklung werden wir möglicherweise mit einer Technologie verschmelzen, die unsere Gehirne auf einen IQ von 1.000 oder sogar 10.000 verbessert. Wir tanzen auf der Linie zwischen “Mensch und Maschine”, tanzen an den Grenzen von Geist und Materie – wir können nicht innehalten – unter uns sehen wir den Abgrund, wir müssen weiterkommen. Der Traum ist eine symbiotische Intelligenz, aber das Risiko bleibt dennoch der Absturz in eine reine technologische Intelligenz, bei der die Lichter noch an sind, aber niemand zuhause ist, um sie wahrzunehmen. Fortschritt ist aber alles, was wir haben. Wir bewegen uns wie Ameisen, die der Königin (der Technologie) folgen, verständigen uns mit begrenzer Sprache, und werden wie dopamingesteuerte Junkies durchs Leben gezerrt. Immer im permanenten Reaktions- und Fortschrittsmodus. 

In unserer jetzigen und sich verändernden Welt könnte ein Ergebnis darin bestehen, die ‘geschaffene Welt’ zu ersetzen und schließlich nach Perfektion zu streben, um das bekannte Unbekannte und unbekannte Unbekannte zum Bekannten zu machen. Durch Technologie und Wissenschaft suchen wir nach dem einen Algorithmus, der unsere Spezies in einen Zustand der Überflüssigkeit versetzt. Eine solche Welt jedoch, in der eine Upgrade-Spezies oder ein “Gott in/aus einer Maschine”, ein “Deus Ex Machine” oder ein “Homo Deus” geschaffen wird, wäre es höchstwahrscheinlich das letzte Kapitel unserer Geschichte; die “Generation Z” wäre das Ende der Reise des Menschen. Wir würden zum Homo Obsoletus werden und mit unseren Prinzipien der Hoffnung untergehen.

DAS UNBEKANNTE ZUM BEKANNTEN MACHEN

Es geht aber weiter, immer weiter. Denn der Geist selbst ist kein Computer. Diese wunderbare und seltsame Konstruktion ist kein Algorithmus. Unser Geist ist eher wie ein Orchester, jedes Instrument mit seinen eigenen Facetten, seinem Temperament und seiner Stimmung. Jedes Neuron hat seine eigenen Strukturen im Inneren. 

Wir machen zwar (exponentielle) Fortschritte beim Reverse-Engineering der Funktionsweise unserer Neuronen. Doch eine solche “Rückwärts-Erklärung der Vernetzung und der Art und Weise, wie unsere etwa 100 Milliarden Neuronen feuern und reagieren ist keine absolute Erzählung. Denn ‘das Feuern’ selbst, also die Beantwortung der Frage, wie das Entfachen entsteht, ist nicht Teil der Erklärung. Es wird als Selbstverständlichkeit angenommen. Unsere sensorischen Erfahrungen bilden eigene neuronale Netze, die auf das projiziert werden, was wir Realität nennen.  

Wenn wir jedoch "tiefer" gehen und uns mit den Strukturen der Neuronen befassen, gibt es noch mehr zu entdecken. Dann stoßen wir, so zumindest die Theorien von Sir Roger Penrose und Stuart Hammeroff  auf etwas, das Mikrotubuli genannt wird. Innerhalb jedes Neurons scheint es, als hätte jedes von ihnen die gleiche komplexe Struktur wie unser Gehirn. Man könnte sogar sagen, die Mikrotubuli sind die Gehirne der Neuronen. Auf dieser "subatomaren Ebene" gelangen wir in die Welt der Quanten. Während wir die etwa 100-Jährigen Jubiliäen der Entdeckungen von Max Planck rund um die Energiequanten, die Entdeckungen von Werner Heisenberg auf der Insel Helgoland und die mathematische Gleichung von Erwin Schrödinger feiern, hat dieser wunderbare Zweig der Physik, der als modern bezeichnet wird, in den letzten Jahren nicht nur das Bewusstsein von Physikern und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt geweckt. Sie hat auch ihren Weg in die “etablierten-Medien” gefunden als eine grundlegende Theorie der Natur, die auf der kleinsten Skala mit Wellen und Energieniveaus von Atomen und subatomaren Teilchen basiert. In dieser Welt "ganz unten" – wann würden wir überhaupt wissen ob/wann wir angekommen sind? –, wo sich Materie wie Energie und Energie wie Materie verhält, wird die Welt wirklich seltsam. Hier verhalten sich Teilchen wie Wellen, und Wellen verhalten sich wie Teilchen - oder vielleicht ist die genauere Definition: Teilchen sind Wellen. 

In der Welt der Quanten können zwei Dinge zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein, und ein Ding kann zur gleichen Zeit an zwei Orten sein. Mit der Kopenhagener Interpretation, der Schrödinger-Katze und vielen neueren Erfahrungen hat die Wissenschaft immer wieder Theorien beobachtet und verifiziert, bei denen nichts irgendwo ist, bis es beobachtet wird – und dann, wenn es einmal beobachtet wurde, ist es irgendwo. Eine verblüffende Seltsamkeit, die Quantenphysiker sogar zu radikal unterschiedlichen Interpretation und “Glaubensformen” führt. Fazit: die grundlegende Frage bleibt unbeantwortet. 

Ich habe großen Respekt vor all den genialen Denkern rund um die Themen "Singularität" und "Posthumanismus", aber es scheint noch immer so, als gäbe es Mysterien, die sich außerhalb unserer derzeitigen physikalischen Gesetze und außerhalb unseres materialistischen Weltbildes verbergen und uns somit unbekannt sind. Es kann daher keinen "Posthumanismus" geben, ohne zuvor den "Humanismus" zu klären. Deshalb bleiben wir weiterhin bei der Frage, was es bedeutet, ein "Mensch zu sein".

So seltsam die Welt auf der Quantenebene zu sein scheint, selbst die Makroebene, - unsere sogenannte "Realität", steckt voller Überraschungen. Mit unseren Sinneserfahrungen, unseren Intuitionen und unserem Bewusstsein erschaffen wir "unsere eigene Welt", in der deine Realität und meine Realität sehr unterschiedlich sind. Das ist etwas, worüber der deutsche Philosoph Martin Heidegger in seinem komplexen Werk "Identität und Differenz" schrieb und darauf hinwies, dass es nicht seltsam ist, dass die Dinge überhaupt sind, das Seltsame ist die "Differenz", dass die Dinge unterschiedlich sein können. Jenseits von Algorithmen und bewährten Theorien haben die kleinen bescheidenen Wesen, die wir sind, auch Gedanken, Gefühle, Lust, Angst, Verwirrung, Eifersucht und Kreativität.

Wenn wir also diese Roboter und Maschinen erschaffen, fragen wir uns: Werden sie irgendwann leiden? Werden sie lieben? Können sie Sex haben und sich fortpflanzen (wobei wir die Frage mal beiseite lassen, ob das überhaupt relevant ist)? Oder wenn wir miteinander verschmelzen, was wird dann ‘aus uns’? Werden wir dann noch leiden oder lieben? Unsere einzige Realität ist genau das: die ’Leere’ in unserem Leben, das Unsichtbare, das was nicht ist. Das andere existiert (nur) in unserer Vorstellung. Jegliche Versuche, das Unbekannte und/oder Unsichtbare ans Licht des Bekannten und Sichtbaren – des Erklärbaren – zu führen, bleibt verborgen. Über das Gedachte und (menschliche) Handlungen können wir viel sagen, an das Denken und ‘die Entstehung eines Gedankens’ kommen wir nicht heran.

DIE LETZTE NARZISSTISCHE KRÄNKUNG

Vielleicht müssen wir ein neues Kapitel unserer menschlichen Reise aufschlagen? Denn das Ergebnis der derzeitigen rasanten (technologischen) Entwicklung, bei der wir am Anfang eines perfekten Sturms – ein digitaler Tsunami – stehen,  ist womöglich, dass unsere "alten absoluten Systeme" irgendwann zusammenbrechen werden. Wir können nicht mithalten. Politische und wirtschaftlichen Modelle stoßen an ihre Grenzen, das organisierte menschliche Leben verliert seine Struktur. Eine Möglichkeit ist, sich auf einen "Neustart", oder einen “Restart”vorzubereiten. Aber auf was und wohin? Wir können die Systeme gefühlt nicht mehr flicken, es gibt aber nicht ‘das Andere’. Wir brauchen also eine neue Sichtweise – eine andere Wahrnehmung von dem, was ist und dem, was werden soll. Auch wenn wir Karikaturfiguren, Narzissten und alte totalitäre Führer einsetzen, um die mächtigsten Armeen der Welt zu regieren, wird das Ergebnis sein, dass wir ein für alle Mal verstehen, dass diese Welt nicht von selbst entstehen wird. 

Sind wir bereit für eine neue Weltanschaung und ‘andere Modelle? Neue Modelle, die nicht von rückwärtsgewandten Politikern oder populistischen Bewegungen kommen, noch von gierigen Menschen, die nach Mehr streben, sondern von Menschen, die Vertrauen in die Zukunft haben. Wir brauchen keine Welt der Polarisierung, sondern eine Welt der Integration und Zusammenarbeit, des Wissens über unsere Interdependenz und des Bewusstseins, eine Welt der Ko-Kreation, in der wir mit der Technologie koexistieren und uns weiterentwickeln. Denn das organisierte menschliche Leben braucht Halt, es braucht Struktur. Gleichzeitig braucht es die Hinterfragung des Bestehenden. 

Womöglich brauchen wir so etwas wie einen "Neustart" an einem Ort, an dem wir die materielle Welt verlassen und andere Konzepte als die Newtonsche Physik aufgreifen. Hier beginnen wir, uns mit Gedanken, Gefühlen und Intuition zu beschäftigen. Es ist der Ort, an dem wir einen genaueren Blick auf seltsame Konzepte wie "Unterschied" und "Kreativität" werfen.  Hier könnten wir befähigt werden, neue Modelle zu bauen. Es ist eine Welt, die tatsächlich Raum für wahre Kreativität bietet und in der wir unsere eigene strahlende Zukunft schaffen können. Es ist eine Welt, in der wir Mit-Menschen sein können.  Wir bewegen uns von einer materialistischen und dogmatischen Weltanschauung hin zu einer Welt, die Kreativität im Kern fördert. Gemeinsam wenden wir uns einem System der Zusammenarbeit und Teilhabe zu, einer Welt des Bewusstseins oder zumindest einer bewussten Lebensweise, die auf Verständnis beruht. Unser Schicksal, unsere Welt und unsere Zukunft sind nicht deterministisch. Wir wissen, dass die Illusion eines Traums von einer vordefinierten Zukunft schon lange tot ist, eine Zukunft – irgendeine Zukunft – ist etwas, das wir improvisieren, sie ist etwas, das wir gemeinsam erschaffen werden, sie basiert auf positivem Fortschritt - die Kunst ‘unrecht zu haben -, besseren Erklärungen und dem Willen zur Wahrheit. Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind die Akzeptanz alter (politischer) Macht und selbstverständlicher Wahrheiten und die unbewusste Schaffung exponentieller Technologien. Wir wollen weder die Spezies sein, der es an Verständnis für die Ausdehnung des organisierten menschlichen Lebens fehlt, noch wollen wir eine Welt schaffen, in der wir alle intelligente Wesen sind, die sich wundern und umherwandern, wo die Lichter zwar brennen, aber niemand mehr da ist, der sie wahrnimmt – der Homo Obsoletus. 

So bleibt am Ende die entscheidende Frage unbeantwortet, und das ist eine, der wir uns stellen müssen: Was ist der Mensch? Oder, anders ausgedrückt: Wie vermeiden wir die letzte narzisstische Kränkung der Menschheit? 

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