Leben ohne Leistung ist Sinnlos

Leben ohne Leistung ist Sinnlos

Sommerzeit – Gelegenheit zu reflektieren und den Blick zurück auf die vergangenen Monate und auf Kommendes zu werfen, wie mein nächstes Buch.

Warum wir das Leben nicht nur fühlen, sondern vor allem füllen müssen, um ein erfülltes Leben genießen zu können.

Für diese Erkenntnis in meinem Leben steht symbolisch das Jahr 2006. Damals wurde der damalige Linde-CEO Wolfgang Reitzle zum Manager des Jahres gekürt, just zu dem Zeitpunkt, als wir mit unserer Agentur Linde als Kunden gewinnen konnten. Meine Tage waren ein Balanceakt zwischen Bundesliga-Handball und Unternehmertum – nicht immer einfach zu vereinbaren, aber ich liebte es, und ich lebte den Fortschritt.

In Deutschland fand das ‘Sommermärchen’ statt und die Deutsche Nationalmannschaft spielte einen aufregenden Fußball. Sie verlor zwar gegen Italien im Halbfinale, belegte aber erfolgreich den dritten Platz. Deutschland hatte mit Dirk Nowitzki einen der besten Basketballspieler der Welt, der MVP (Most Valuable Player) wurde und seine Dallas Mavericks ins Finale der NBA führte.

Als ich kürzlich, inmitten von Debatten um eine mögliche 20-Stunden-Woche oder die Frage nach dem Renteneintrittsalter Wolfgang Reitzles Appell “Wohlstand ohne Leistung ist eine Illusion” las, fühlte ich mich getriggert, weil er ein Thema ansprach, das mich seit langem beschäftigt: “Wo ist Deutschland heute Weltklasse?” – Wo ist das Sommermärchen, das euphorische Miteinander und der Glaube an den gemeinsamen Erfolg?

Eine neue Leistungskultur: Handlungshelden gesucht
In einer Welt, in der Neil Postmans düstere Aussichten “Wir amüsieren uns zu Tode”, präsenter als je erscheinen, sind Schlagzeilen zunehmend geprägt durch Social-Media- und Pornosucht und Like-Würdigkeit: #Aufmerksamkeitsökonomie. Die mediale Aufmerksamkeit, die Reitzle erzeugt hat, erweckt den Eindruck, er habe das Rad neu erfunden.

Aus Norwegen kam ich 2000 nach Deutschland, wo Leistungskultur und Quality Made in Germany (noch) groß geschrieben wurden. Von Bratpfannen und Hundeleinen über Superkleber für Flugzeuge und Micro-Bohrer, ich war von den Hidden-Champions und dem deutsche Unternehmertum begeistert. Ich war besessen, von diesen stillen Handlungshelden zu lernen. Kurze Zeit später, 2002, standen die Herren der deutschen Fußballnationalmannschaft im WM-Finale gegen Brasilien, die Frauen wurden 2001 Europameister, und 2003 sogar Weltmeister – Deutschland war überall vorne dabei.

Heute lese ich “Wir werden immer dicker”, und beängstigend ist die Zahl, dass über die vergangenen zehn Jahre die gemeldeten Fälle der Fettleibigkeit bei Kindern um ⅓ gestiegen sind. Digitalisierung scheint von vielen vor allem als Weg in die Komfortzone verstanden zu werden. Nanny-iPad und Home-Office für alle?!

Doch jetzt heißt es “urplötzlich” – Wie? Wir müssen was tun?

Dabei sollte es keine Überraschung sein, die Anzeichen sind seit Jahren da. Von “Shit-In-Shit-Out”, oder “You are what you eat” bis zu den Dauerbrennern auf den Spiegel-Bestsellerlisten. Lebensratgeber und Ernährungsberater sind eine Boom-Industrie – und Influencer-Millionäre dafür der neue Inbegriff. Es scheitert jedoch an der Handlung.

Sigmar Gabriel sprach kürzlich bei The Pioneer von einer 75%-Gesellschaft in Deutschland, mit 75% Leistungsbereitschaft, 75% Pünktlichkeit (zum Beispiel bei der Bahn) und 75% Wahlbeteiligung. Dies steht heute stark im Kontrast zum Prinzip 966, dem Arbeitsmodell aus China – Regelarbeit von 9 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, sechs Tage die Woche –, und den Leistungs- und Optimierungsmodellen aus Asien. Auch wenn diese Modelle und die politisch unterliegenden Strukturen offensichtliche Mängel aufweisen, unterscheidet sich der Leistungswille in Fernost signifikant von dem deutschen Ideal der modernen “New Work”-Mentalität.

Nicht nur in Bezug auf die Wirtschaft halte ich das für essentiell, sondern auch auf das Leben als solches: Wir brauchen eine neue Leistungskultur.

Vor zwei Monaten startete ich auf LinkedIn einen Aufruf für eine neue Leistungs- und Unternehmenskultur in und für Deutschland, der offensichtlich einen Nerv traf.

Aber wie gelingt die Aktivierung? Ist die persönliche Krise der einzige Weg? Es scheint ja fast so, als erzeugen einige Tage Dauerregen in den Sommerwochen nicht nur in meiner Heimat Norwegen, sondern auch andernorts in Europa mehr Wirkung als 50 Jahre Wissenschaft und die Bewegung um Greta Thunberg, wenn es ums Verständnis des Klimawandels geht. Vielleicht muss es uns also persönlich treffen, bis wir aus unserem Dornröschenschlaf des Konsumismus aufwachen und erkennen, dass für uns Menschen ein anderes Leben erfüllender ist?

Was bedeutet Leistungskultur und Wohlstand?

Für mich geht es dabei um weit mehr als nur um den Erhalt des Wohlstands und die reine Leistungserbringung an sich. Ich strebe nach einer Erweiterung des Wohlstandsbegriffs.

Wohlstand muss in der heutigen Zeit neu definiert werden. Wenn in meinen Arbeiten von Wachstum die Rede ist, steht primär das menschliche Wachstum im Fokus. Mir geht es nicht allein um materiellen Wohlstand. Vielmehr betone ich das allgemeine Wohlbefinden, das soziale Miteinander, die Gemeinschaft und eine generelle Positivität unter den Menschen. Aus der dauerhaften Selbstfindung wird ein ’Selbst-Werden’. Aus dem begründenden Menschen ‘Ich bin so, weil…’ wird der aktiv gestaltende Handlungsheld ‘Ich werde so, weil…’. Seit Jahren setze ich mich in meinem Denken mit dem Konzept des ‘positiven (unendlichen) Fortschritts’ und dem Streben nach ‘besseren Problemen’ auseinander – immer basierend auf einer dynamischen Denkweise und vor dem Hintergrund eines funktionierenden Wirtschaftssystems – für das wir was tun können.

Während meiner Sportkarriere entwickelte ich eine prägende Fähigkeit: den anhaltenden Willen, mich zu verbessern. Für mich ist das Fortschritt. Ich wusste, ich bin verantwortlich für mein Leben. Bei jeder Laufeinheit drängte ich mich in der ersten Runde mit einem fast manischen Eifer an die Spitze und baute einen Vorsprung auf, der sich wie eine unüberwindbare Kluft anfühlte. Und sobald man vorne lag, war das Spiel einfach: Den Vorsprung behalten, egal was passiert. Dabei ging es nicht nur um den Nervenkitzel des Rennens. Ich wollte an meine Grenzen kommen – um dann darüber hinauszugehen. Leistung führt zu Fortschritt. Auf der Rückbank im Bus zu den Auswärtsspielen las ich Bücher von Persönlichkeiten wie Tom Peters, der damals bei großen Events das Publikum mit seiner Botschaft “If you try a lot of things, one might work” begeisterte. Ich las Malcolm Gladwell’s “Outliers” und stieß auf die 10.000-Stunden-Regel, die schnell zu einer populären Faustregel wurde, um ein bestimmtes Gebiet zu meistern. Nach einem intensiven Handballspiel waren die Abende dann geprägt von gemeinsamen Momenten mit meinen Teamkollegen – oft (je nach Ausgang des Spiels) begleitet von einem erfrischenden Kaltgetränk. Das Leben war voll. Ich war erfüllt.

Zugegebenermaßen, es gibt deutlich effektivere Wege zu Fortschritt und Erfolg durch das Streben nach ausgewogener muskulärer ‘Zerstörung’ und Erholung. Und Gladwell’s 10.000-Stunden-Regel ist, wie es Anders Ericsson später nannte, “Eine provokante Verallgemeinerung“, aber für mich ging es um ‘Micro-Ambitionen’, ich wollte die Qualität im nächsten Schritt, in der nächsten Tat erhöhen – und ich liebte die Tat, es war meine Sinngebung. Nicht alle werden wir Überflieger, und mein Einsatz und Fokus hätten in späteren Jahren sicherlich methodisch optimierter eingesetzt werden können, dennoch ist es mir gelungen, eine bessere Version meiner selbst zu werden. Und das treibt mich heute auch um. Gerne verliere ich einen Disput mit der Erkenntnis, ich habe was gelernt.

Noch heute liebe ich es, das Leben mit Inhalt zu füllen.

Zu schön ist dieses kurzfristige Ding – was wir Leben nennen – um es nicht mit möglichst viel Zeug zu füllen und es möglichst bewusst zu erleben. Der Einsatz – Input – ist die Grundlage für jeglichen Fortschritt und jede Leistung – Output.

TATSÄCHLICH. ES GEHT UM ‘DIE TAT’ – LEISTUNG UND SINNGEBUNG VEREINEN

Im Herbst vergangenen Jahres hatte ich an der Seite von Bundespräsident a.D. Joachim Gauck das Vergnügen, eine Rede im Rahmen der Auszeichnung der “Unternehmer des Jahres” auf Schloss Bensberg bei Köln zu halten. Dabei durfte ich das Herzstück der deutschen Wirtschaft und dessen historischen Leistungsbeitrag erleben. Im Raum saßen 400 Mrd Umsatz. Als die Unternehmerin des Jahres die Bühne betrat, um die jährliche verliehene Prestige-Auszeichnung anzunehmen, verkündete sie “es sei jetzt langsam an der Zeit, die Geschäftsleitung an die Kinder zu übergeben” – Generationswechsel eben. Die Kinder: 58, 60 und 62 Jahre jung! In Sachen Klima, Technologie und Zukunft machten sich Frau Busch (89) und ihr Mann (92) nur eine Sorge: Dass wir uns nicht genug anstrengen.

Reitzle spricht in seinem Aufruf von einer satten Gesellschaft, in der zu wenige Menschen bereit sind, unkonventionell zu denken und das Risiko einzugehen, neue Wege zu beschreiten. Im Buch ‘Das infizierte Denken’ ziehe ich Parallelen zu Goethes Faust, der sich mit dem Evangelium nach Johannes auseinandersetzt. Aus der Kritik an der Vorstellung, dass “Am Anfang … das Wort [war]”, kommt der Protagonist zu dem Schluss, dass es im Kern um das Handeln gehen sollte.

Aber ach! schon fühl’ ich, bei dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?
Davon hab’ ich so viel Erfahrung.
Doch dieser Mangel lässt sich ersetzen,
Wir lernen das Ueberirdische schätzen,
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends würd’ger und schöner brennt,
Als in dem neuen Testament.
Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
(Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.)

Geschrieben steht: “im Anfang war das Wort!”
Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erſte Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geixt! auf einmal xeh’ ich Rat
Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat!

Dies berührt die aktuelle Herausforderung unserer Wissensgesellschaft, in der Meinungsfreiheit und Redefreiheit oft verwechselt werden, insbesondere in einer von Opportunismus geprägten Gesellschaft.

Goethe betont die Bedeutung der Tat gegenüber dem bloßen Wort. Dem steht heute die Realität einer Fatalen Informationsgesellschaft gegenüber: Mit unzähligen Content-Tools ist die Produktion von Inhalten auf Steroiden – und ChatGPT hat sich zuletzt als Verstärker erwiesen. Plötzlich scheint jeder ein Experte zu sein.

Dabei übersehen viele allerdings den wahren Wert und die tiefe Bedeutung des Schreibens: Schreiben als Schaffen. Das Schreiben ist die Tat. Schreiben ist ein Akt des Denkens. Beim Verfassen von Texten sortieren und vertiefen wir unsere Gedanken. Unser Verständnis. Doch in einer Gesellschaft, in der Intelligenz und fabriziertes Wissen / Allwissenheit bald kostenfrei verfügbar sind, wäre es verhängnisvoll, die nächste Generation in einer solch oberflächlichen Produktions- und Optimierungskultur zu erziehen.

Es wird viel geredet, doch wenig bewegt.
Es wird kommuniziert, doch echte Reflexion und Produktion bleiben aus.

DER WEG DES POSITIVEN FORTSCHRITTS
Die verlängerten Home-Office-Weekends und die tägliche Ablenkung machen nicht nur unproduktiv, sie machen auch unglücklich. So hat Reitzle nicht nur aus unternehmerischer und gesellschaftlicher Wohlstandssicht recht, es geht um etwas viel Tiefergehendes, Fundamentales: eben, dass Leistung etwas Erfüllendes und Schönes sein kann.

Otto von Bismarck prägte einst den Satz: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt.“ Dieses Zitat scheint nicht nur für individuelle und Unternehmensvermögen zu gelten. Vielmehr könnte der Befund, die gesamte Gesellschaft beziehungsweise die Volkswirtschaft zu gelten.

Aktuell befinden wir uns an einem kritischen Wendepunkt – die dritte Generation nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Aufstieg der sogenannten “Hidden Champions” übergibt an die vierte. Die Generation, die von Ludwig Erhards Idee des “Wohlstand für alle” geprägt wurde, an die Generation, die auf der Suche nach Sinn ist.

Statt (Sinn-)Suche und dem Finden des “Selbst” frage ich Dich: Ist es nicht an der Zeit, dem Leben einen Sinn zu geben? Statt etwas zu sein, etwas zu werden (um dann vielleicht auch mehr zu sein)? Das Streben nach positivem Fortschritt und das ‘Füllen des Lebens’ kann zu einem erfüllten Leben führen. Durch Lernen, erlebten Fortschritt und das Meistern von Herausforderungen. Vielleicht hat Wolfgang Reitzle genau das mit seinem Appell gemeint?

Mich fasziniert die Frage, wie wir Werte und Leistung, oder wie man heutzutage sagt, ‘Performance’ und ‘Purpose’, vereinen können. In den vergangenen Monaten habe ich mir daher noch intensiver Gedanken zu diesem Thema gemacht.

Ein paar dieser Gedanken werde ich über die nächsten Wochen mit Euch teilen. Es sind kleine Auszüge meines neuen Buchs.

Ich freue mich auf Anregungen und Eure Überlegungen. Sobald der Urlaub vorbei ist, heißt es: Hochleistung und Werte, das kann funktionieren.

Und, warum es historisch und auch wissenschaftlich seine Verankerung findet, das ergründe ich, indem ich bei den Wikingern auf die Suche gehe und den “Wikinger-Kodex” untersuche. Und das ist nicht nur was erfüllendes, sondern auch ein großer Teil meiner Sinngebung – und macht auch glücklich! Zumindest für mich.

DER WIKINGER-KODEX

Anfang nächsten Jahres erscheint das Buch mit dem Titel “Der Wikinger-Kodex”. Es untersucht das Paradoxon zwischen Leistung und Sinngebung. Besonders interessiert mich die Frage: Wie gelingt es, Werte mit (Hoch-)Leistung zu verknüpfen? Hierfür ziehe ich Beispiele aus meiner Heimat Norwegen heran – einem Vorreiter in Sachen profitabler Energiewende und fast ‘über Nacht’ Weltklasse in Sportarten wie Fußball, Tennis, Golf und Leichtathletik. Weitere Details zum Buch folgen zeitnah. Für Interessierte, https://wikinger-kodex.de

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